Angestarrt
Ich hatte gerade die Kellnerin herbeigerufen, um meinen Kaffee zu bezahlen, da fiel mir ein Mann auf, der mich richtiggehend anstarrte. Ich hatte keine Ahnung, wie lange er das schon tat.
Bis zu dem Augenblick, als ich mich im Lokal umsah, um die Kellnerin zu rufen, war es mir nicht aufgefallen.
Dabei sagt man doch immer, jeder Mensch merkt es, wenn er angestarrt wird, selbst wenn er es nicht direkt sehen kann, weil sich ein unbestimmtes Gefühl des Unbehagens einstellt. Weil wir einen siebten Sinn haben oder so.
Was auch immer daran wahr sein mag – ich bemerkte das Anstarren erst, als ich den Mann und seine auf mich gerichteten Blicke sah.
Daran, dass ich nun so eine unbedingte Sexbombe bin, konnte es nicht liegen, dass er sich von mir nicht losreißen konnte. Ich weiß, ich sehe wirklich nicht schlecht aus, vor allem für mein Alter; da gibt es ganz andere reife Frauen. Aber eine atemberaubende Schönheit, die allen Männern die Köpfe verdreht, war ich selbst in meiner Jugend nicht und bin heute erst recht eher apart als hübsch.
Wie es sicherlich den meisten anderen gegangen wäre, so ging es zuerst auch mir; ich überlegte, ob irgendetwas mit meiner Kleidung war, ob ich mich unbewusst daneben benommen hatte, ob ich vielleicht einen Schmutzfleck im Gesicht hatte oder so etwas in dieser Richtung.
Irgendetwas Peinliches halt, was einen Fremden dazu bringen könnte, einen die ganze Zeit anzusehen.
Allerdings wirkte der Gesichtsausdruck des Mannes nicht amüsiert oder gar schadenfroh. Auch nicht neugierig im eigentlich Sinn.
Nein, wenn ich ein Adjektiv hätte finden sollen, das ihn mit am besten beschrieb, so hätte ich ihn „fasziniert“ genannt.
Nur, was konnte ihn an mir so faszinieren? Mein Aussehen nicht, wie bereits gesagt. Ich hätte das Anstarren noch verstanden, wenn ich in der vollen Leder Montur einer professionellen Domina da gesessen hätte. Oder in dem Minikleid aus Lack, was ich eben noch im SM Studio getragen hatte, als ich mit Cathy zusammen meinen ersten Sklaven professionell erziehen musste.
Aber ich trug ganz normale Straßenkleidung, absolut unauffällig, weder besonders schick, noch besonders auffällig aus anderen Gründen. Und die Gedanken, die mir im Kopf herumgingen, und die waren sicherlich für Außenstehende interessant, die sah man mir bestimmt nicht an; wie denn auch? Würde man dominante Frauen so leicht erkennen, indem man ihre Gedanken lesen könnte, dann hätten viele Sklaven viel weniger Probleme mit der Kontaktsuche.
Dann müsste ein devoter Mann keine Kontaktanzeige mehr aufgeben, Sklave sucht Domina, sondern er würde sich nur umsehen, welche Frau gerade dachte, Domina sucht Sklave, und sich ihr ehrerbietig nähern, um die Situation gleich auszunutzen und sich ihr als Sklave anzubieten.
Es würde die SM Kontakte erheblich vereinfachen … Der Gedanke bringt mich zum Schmunzeln. Wobei ich grundsätzlich extrem froh bin, dass devote Männer meine Gedanken nicht lesen können.
Im Zweifel würden sie diese Fähigkeit ja doch nicht dazu benutzen, meine Wünsche vorauszuahnen, bevor ich sie ausgesprochen habe, sondern nur dazu, mich zu überlisten oder so etwas.
Ich stocke. Wie kommt das, dass ich auf einmal so negativ denke über devote Männer? Noch vor wenigen Wochen, noch vor Sheila war ich total glücklich mit Phil, die Welt war für mich in Ordnung, ich genoss mein Leben und war froh, eine dominante Frau zu sein, mit einem, wie ich glaubte, passenden Partner. Ich war voll davon überzeugt, dass dominant-devote Spiele mich zufrieden stellten.
Okay, ich gebe es zu, ein paar boshafte Gedanken hatte ich schon immer, wenn ich mich mit den praktischen Auswirkungen der Sadomaso Erotik befasst hatte, und eine gewisse Boshaftigkeit war schon immer unverkennbar, wenn ich mich allgemein zu devoten Männern äußerte.
Aber in der letzten Zeit gingen meine Gedanken weit über Boshaftigkeit hinaus; das war mehr, ernster.
Schlich sich bei mir jetzt etwa auch diese tief gehende Männerverachtung ein, die ich schon bei so vielen professionellen Dominas wie privaten Dommsen hatte beobachten können? Falls ja, dann musste ich gewaltig aufpassen; ich wollte Männer keinesfalls aus Bitterkeit dominieren …
Aber zurück zu diesem Mann, der mich noch immer anstarrte. Er lächelte nicht, er zwinkerte mir nicht zu, er sah mich einfach nur an, mit einer unglaublichen Intensität, die mich total erstaunte.
Bis ich endlich genug hatte. Ich stand auf, schlüpfte in meinen Mantel. Seine Blicke folgten mir, als ich an ein paar Tischen vorbei ging. In Richtung Ausgang – und gleichzeitig in Richtung seines Tisches, der zwischen dem Tisch stand, an dem ich gesessen hatte, und der Tür.
Vor diesem Tisch blieb ich stehen. Sehr direkt und kühl sah ich ihn an, diesen Mann. Und fragte einfach: „Was willst du von mir?“