Der wahre Hintergrund
Was für eine absolut blöde Fête! Ich habe mich schon lange nicht mehr so unwohl gefühlt. Klar, die latexüberzogenen Mädels vorhin haben eine ganz hübsche Tanzeinlage hingelegt – auch wenn ich normalerweise lieber selbst tanze, statt anderen dabei zuzusehen und mühsam stillhalten zu müssen -, die Bondage des großen grimmigen Meisters aus dem Norden war ein Gedicht, tauglich zum Erblassen für alle Möchtegernseilkünstler ebenso wie für die im doppelten Wortsinn tau-begierigen weiblichen Besucher, und die Bilderausstellung im Nebenraum hat auch etwas. Sehr viel sogar.
Aber wie würden Sie sich fühlen, als dominant veranlagtes Wesen, wenn Sie soeben erfahren haben, der Typ, in den Sie sich bis über sämtliche vier Lippen verknallt haben, der ist dasselbe wie Sie, nämlich dominant? Wie soll denn das zusammenpassen, zwei Pluspole? Wenn da die Funken sprühen, dann doch nur beim Auseinanderdriften. Und seine Tussi hat er auch gleich mitgebracht. Sieht ja klasse aus, die Tante. Wäre mir nur ein bisschen zu jung. Nicht einmal Konversation kann man mit ihr machen; sie kriegt die Zähne nicht auseinander, als müsse ihr Herr tatsächlich jedes Wort einzeln genehmigen, das sie sich aus den Zähnen zieht.
Und er ist korrekt wie immer. Soll heißen: Er verhält sich, wie man sich am betreffenden Ort verhält. In der Redaktion wie hier der große Kühle in der dunklen Kluft; nur dass er in der Redaktion kein Leder trägt und in zwei Minuten soviel redet wie hier bislang die zwei Stunden, die wir uns auf der Party aufhalten. SM-Parties sind eben eher etwas fürs Sehen und gesehen Werden, nicht fürs Quatschen. Quatschen kann man nachher, wenn man sich das Maul über die Dinge und Menschen zerreißt, die einem begegnet sind.
Noch mehr bringt mich natürlich auf, dass er mit ihr sehr wohl kommuniziert; allerdings ohne Worte. Ein kleiner Ruck an der Kette, und sie unterbricht ihr Trinken. Eine Handbewegung, und sie senkt den Kopf.
Widerlich ist das. Geradezu ekelhaft. Und so etwas muss ich mir jetzt die ganze Zeit ansehen! Zum Glück gibt es wenigstens keine echten Intimitäten zwischen den beiden. Kein Geknutsche und Abgelecke und Geknie, so wie bei einigen anderen Paaren, die ich beobachte.
Weiß der Teufel, wie ich aus dem konfusen Durcheinander in meinem Kopf einen Partybericht für unser Magazin zurechtschneidern soll. Ganz schön enttäuscht sein wird der Herr Chefredakteur. Aber das hat er verdient. Schließlich ist er ja an allem schuld.
Am liebsten würde ich sofort nach Hause verschwinden. Noch lieber – soweit eine Steigerung beim Superlativ überhaupt noch möglich ist – wäre ich gar nicht erst mitgegangen. Aber was half es mir denn? Hätte ich die Beleidigte gespielt, hätte er ja gleich gemerkt, dass es mir gar nicht um ein rein freundschaftliches Freizeitvergnügen ging, bei diesem gemeinsamen Partybesuch, den schließlich ich angeregt habe, sondern um eine echte Anmache. Die Blamage will ich mir gar nicht erst vorstellen.
Ist ohnehin schon alles schlimm genug. In Gedanken entwerfe ich längst mein Kündigungsschreiben. Wie soll ich in Zukunft weiter mit ihm zusammenarbeiten, nach diesem durch und durch verkorksten Abend? Immerhin weiß ich jetzt, warum er ständig so wissend auf meine SM-Artikel reagiert hat; er kennt sich da bestens aus. Und meine keck-dominante Schreibe muss ihm selbst ja geradezu aus der Seele sprechen, in dem Zusammenhang. Sofern er eine hat. Eine Seele, meine ich.
Ein Sadist ist er jedenfalls. Er muss doch längst ahnen, dass ich so dämlich war, mir ausgerechnet ihn als nächstes Opfer auszusuchen. Pah, Opfer! Wer ist denn hier eben das, frage ich mal ganz laut? Doch wohl eher ich. Aber diese Rolle taugt nicht für mich. Abschreiben werde ich den arroganten Mistkerl. Soll er doch an der Leine herumführen, wen er will – mich nicht!
Ja, dass er selbst die beherrschende Rolle bevorzugt, das erklärt einiges. Er war überhaupt nicht steif und zurückhaltend aus Schüchternheit oder weil er kein Feuer hat. Das ist einfach nur seine Art, die Zügel in der Hand zu halten. Hat ja bei mir auch hervorragend geklappt.
Bis jetzt. Ab morgen ist Schluss damit. Ich werde ihn mir so abschminken, dass keine Spur mehr zurückbleibt. Und falls es gar nicht klappt, dass wir einfach nur Kollegen sind, die in einem speziellen Bereich Berührungspunkte haben, ohne sich jemals nahe genug kommen zu können, sich zu berühren, dann suche ich mir eben einen anderen Job. Basta. Woher ich den nehme, das überlege ich mir, wenn es soweit ist. Erst einmal probe ich die Eisprinzessin, die sich von nichts und niemandem beeindrucken lässt, und schon gar nicht von ihm.
Schon eher beeindrucken lasse ich mich durch meine volle Blase. Eigentlich gehen Frauen ja immer gemeinsam aufs Klo; aber mit der blöden Kuh im Korsett würde ich mich auf keiner Toilette sehen lassen. Selbst wenn er bereit wäre, das dümmliche Halsband freizugeben. Wahrscheinlich gehört es mit zu ihren Anweisungen, sich zwar nicht beim Trinken zurückzuhalten – da ist sie munter dabei, immer Weißwein -, aber beim Gegenteil. Wie sie das wohl macht? Ob sie einen kleinen Beutel dabei hat? Das Korsett zeichnet zwar von der Brustspitze bis zum Venushügel alles faltengenau ab, aber darunter bauscht sich eine Harems-Pluderhose. Da passt einiges an Spielsachen rein; zu ihrem oder seinem Vergnügen.
Wie auch immer – auch wenn ich das Turtelpaar nur ungern ohne Aufsicht zurücklasse, ich muss jetzt wirklich. „Bin gleich zurück“, murmele ich und begebe mich auf die Suche. Es dauert viel länger als gedacht, und dann stehen noch alle Türchen auf besetzt und es gibt schon eine metertiefe Warteschlange. Gerade, es ist endlich doch geschafft und ich bin bereits, erleichtert, am Händewaschen, vermeide dabei sorgfältig jeden Blick in mein Gesicht, von dem ich mir schon denken kann, wie frustriert der Ausdruck darauf ist, da kommt sie herein. Ganz unverkennbar auch im Spiegel. Völlig ohne Hundeleine. Wenn sie sich hinten anstellt – und so giftig, wie ein paar Frauen in der Wartereihe dreinschauen, kann man nichts anderes empfehlen, selbst wenn es direkt zur nassen Hose führt -, dann muss ich sie direkt ansehen, wenn ich mich umdrehe.
Aber das braucht es gar nicht. „Sag mal, woher kennt ihr euch eigentlich?“ spricht irgendjemand mit meiner linken Schulter. Also, hübsch ist sie ja; mit der Intelligenz allerdings hapert es gewaltig. Auch wenn wir nicht viel geredet haben den Abend über, die Worte Magazin und Redaktion müsste selbst ein Tauber mehrfach aufgefangen haben; schließlich gibt es kein anderes unverfängliches Gesprächsthema, unter diesen Umständen, als die Arbeit. Ich gebe zu, es fuchst mich gewaltig, dass er anscheinend zu Hause nicht ein Wort über mich verloren hat. Ich hätte gehofft, er hält mich für wichtiger. Das trifft, dass er seiner Freundin oder Frau – so genau hat er sie nicht vorgestellt; ich weiß nur, dass sie Cindy heißt – nichts über mich berichtet hat. Oder redet er gar nicht über den Job, und es hat mit mir nichts zu tun? Ach, Quatsch, ich sollte aufhören, mich selbst zu belügen. Für den Typen bin ich allenfalls, aber wirklich nur allenfalls, eine nette Kollegin. Ziemlich unbedeutend, aber gerade so erträglich. Punktum. Und entsprechend sollte meine Reaktion auf ihn sein.
Ich weiß gar nicht, warum ich mich dann mit ihr unterhalte; die Neugier scheint doch stärker zu sein. Wobei ich nicht einmal weiß, worauf ich neugierig bin; Einzelheiten aus ihrem Sexualleben will ich garantiert nicht wissen – mir läuft schon die Galle über bei dem Pärchen-Schauspiel, das sie mir bislang vorgeführt haben.
„Von der Arbeit her. Und ihr?“ frage ich zurück. „Vom Stammtisch,“ ist die Antwort. Igitt – auch solche Spießer, die einen bürgerlichen Stammtisch für unverzichtbar halten, und sei das verbindende Thema noch so pervers. SM-Stammtisch – das ist doch ein Widerspruch in sich selbst! Was für ein Glück, dass ich nur vor Jahren einmal auf dem in der Stadt war. Oder auch nicht – hätte ich den häufiger besucht, wäre mir der Reinfall nicht passiert, Herrn Oberdom persönlich als potentielles devotes Opfer einzuschätzen. „Seid ihr da öfter?“ Nachdem sie keine Anstalten macht, dem Grund zu frönen, der sie hierher getrieben hat, und ich sie ja kaum brüskieren kann, wenn sie endlich doch einmal mit ihr redet, stehen wir beide jetzt als lebendiges Hindernis den anderen Klosuchenden im Weg. Wird nicht lange dauern, bis ich mich be-dauernd mit dem Hinweis darauf zurückziehen kann. Doch halt – dann bin ich ja allein mit ihm. Nein, das muss ich mir nicht auch noch geben. Dann bleibe ich lieber hier und rede noch ein wenig dummes Zeug.
„Ich bin da regelmäßig anzutreffen. Philipp habe ich allerdings erst zweimal gesehen.“
Ah ja. Und sie glaubt, mich interessiert das jetzt?
Einen Moment mal – was hat sie gerade gesagt? Philipp hat sie erst zweimal da gesehen? Warum sagt sie nicht, Philip ist nur zweimal mitgegangen? Ob die Frau nicht einmal die einfachsten Grammatikregeln beherrscht? Oder stimmt es, und die beiden kennen sich noch gar nicht so lange, wie ich gedacht habe? Umso mehr Pech für mich.
„Muss ja Liebe auf den ersten Blick gewesen sein,“ bemerke ich bissig, „wenn das gereicht hat, dass ihr euch zusammentut.“ Sie zieht die Stirne kraus. „Was hat das mit Liebe zu tun? Philipp brauchte eine Begleitung für heute Abend, und als Gegenleistung hat er mir den Eintritt bezahlt. Ich fand es ja etwas seltsam, dass er so ein richtiges Theater aufführen wollte, angeben mit einer Sub, die er gar nicht hat – aber warum nicht? Mich stört das nicht. Die ganzen Doms schauen mich doch nur umso begehrlicher an, wenn ich scheinbar schon einem gehöre.“