Die bösen Männer und ein neues Würfelspiel
Von wegen. Nichts da mit einem triumphierend die Brötchentüte herzeigenden Martin Deinar. Es ist Martina. In Ordnung – dann heute eben mal Martina statt Martin, als Ausgleich zum letzten Mal. Der Schweinehund soll allerdings ganz gewaltig aufpassen – wenn ich tatsächlich erst morgen Abend von ihm höre, dann kann er sich auf etwas gefasst machen!
Martina schafft es innerhalb kürzester Zeit, meiner ohnehin angeschlagene Laune den Todesstoß zu versetzen. Eines allerdings muss ich auch sagen – es geht doch nichts über eine gemeinsame Schimpftirade auf die bösen Männer. Das befreit, lässt Dampf ab und macht solidarisch. Ob das nun tragfähig ist oder nicht – es ist doch ein wunderbares Gefühl zu wissen, wir Frauen kämpfen alle mit denselben Problemen.
Am liebsten würde ich mich ja auch lang und breit über Deinars Gemeinheit auslassen, aber irgendetwas stoppt mich. Noch weiß schließlich keiner, dass da überhaupt etwas in der Pipeline ist, und ich habe meine guten Gründe, das noch nicht zu verraten. Das aktuelle Hickhack zeigt mir ja überdeutlich, auf welch schwankendem Boden ich mich bewegen, wenn ich in einem ganz speziellen Zusammenhang an Deinar denke. Die kleinen soliden Inselchen mitten in diesem Unsicherheitssumpf können ebenso gut Irrlichter sein. Und ich blamiere mich nun einmal nicht gerne. Dass liebhabende oder das behauptende Männer fies und gemein und unerträglich sind, das ist ein erlaubtes Gesprächsthema. Wie man sich jedoch einem nähert, von dem man nicht weiß, will er oder will er nicht, das Rätsel ist allenfalls für Teenager akzeptables Diskussionsthema. In einem höheren Alter erntet man mit solchen Tiraden allenfalls einen mitleidigen Blick dass man keine schwanzbehängte Problemschleuder abgekriegt hat, und frisst sich deshalb durch solche Schwierigkeiten allein durch. Oder man nimmt irgendwelche Frauenzeitschriften zu Hilfe; wahlweise auch aufmunternde Psychologiebücher für Laien. „Die sieben Weisheiten für einen gutsitzenden Slip“, „Sich gut fühlen trotz Hängebauch“, oder so ähnlich.
Außerdem – hatte ich mir nicht geschworen, erst einmal eine Weile Pause zu machen mit den Männern? Und überhaupt mein Leben nicht mehr so sehr von ihnen beherrschen zu lassen? Der Geist ist willig, doch die Traumprinzsehnsucht ist schwach, oder so ähnlich. Rein fleischlich gesehen könnte ich mich da schon eher beherrschen. Ich weiß ja nicht einmal, wie Deinar sich anfühlt. Die kurze Umarmung gestern – was? Ist das erst so kurz her? Kommt mir vor, als sei es letztes Jahr gewesen! -, dabei hat meine Aufregung jede Archivierung der sinnlichen Eindrücke verhindert.
Um über vernünftige Dinge nachzudenken statt über Männer ist der Besuch einer Freundin mit Liebeskummer natürlich wenig geeignet, aber die Zeit geht damit auch herum. In der letzten Zeit scheine ich ohnehin meistens nur Stunden totzuschlagen, bis irgendetwas geschieht, das mit Deinar zu tun hat.
Schluss damit. Ein prägnanter Punkt wartet ja sowieso in der kommenden Woche auf mich, mein neuer Job. Das reicht. Vorher will ich über den Typen nichts mehr hören; weder von mir, noch von ihm selbst.
Ein wenig geschicktes Taktieren bringt Martina zurück auf Kurs und zu ihrem eigentlichen Lieblingsthema, dem Job. Nein, um meinen geht es nicht – das hatten wir ja bereits diskutiert, und noch einmal Naserümpfen der erfolgreichen Dame wollte ich mir nicht unbedingt antun. Aber Martina hat heute Nacht beschlossen, sich einen neuen Job zu suchen. Einen besseren natürlich; anders als für mich kommt für sie ein Herunterfallen beim Leitersprung nicht in Frage. „Connections sind in diesem Zusammenhang alles,“ verkündet sie, als ob ich diesen blöden Spruch nicht schon tausendmal gehört hätte, von ihr – und von anderen Dozenten, die jede Laienpsychologie per Buch in den Schatten stellen. „Warum fragst du nicht einfach deinen Ex, ob er dir behilflich ist?“ frage ich. „Der hat mit Sicherheit erstens ein sauschlechtes Gewissen, und zweites ein großes Interesse daran, dir nicht weiter jeden Tag über den Weg zu laufen. Ergo ist der doch der ideale Kontakt zur Beschaffung der beruflichen Superchance.“
Sie sieht mich an, als hätte ich nicht mehr alle Tassen im Schrank. Gut, die zwei, aus denen wir trinken, die fehlen dort wirklich – aber das ist ihre Schuld ebenso wie meine. „Das kann ich doch nicht machen! Es ist unethisch, private Beziehungen auszunutzen, um im Job weiterzukommen.“
Das ist ja wohl der Abschuss an Heuchelei! „Wozu bitte sind denn sonst die ganzen Beziehungen da, von denen du immer redest?“ erwidere ich aggressiv. „Das sind doch alles private Kontakte, die man für das Fortkommen im Beruf ausnutzt! Na also – wo liegt denn der Fall anders mit deinem letzten Lover?“ „Ach, du verstehst das nicht,“ sagt sie. „Du hast es noch nie verstanden, dich ins rechte Licht zu rücken und nach den Spielregeln mitzutun, nach denen in der Wirtschaft nun einmal gespielt wird.“
Ist ja interessant. Es mag sogar sein, dass sie recht hat. Immerhin, die aktuelle Entwicklung in Bezug auf Mondheim würde sie insofern bestimmt überraschen. Anders als sie habe ich allerdings nicht vor, meinen Mitmenschen durch Prahlereien die Stimmung zu verderben. Tja, ich bin halt ein guter Mensch. Manchmal.
Interessant zuzuhören ist es allerdings schon, wenn Martina so über ihre diversen Taktiken doziert, um im Job weiterzukommen. Ein Anruf hier, eine Arbeitsprobe dort, ein Abendessen mit X, der über Y dann vielleicht an Z herankommt – so deckt man erst einmal auf, was überhaupt an Möglichkeiten bestehen, und wo die besonders interessanten freien Stellen stecken, die in keinem Stellenmarkt auftauchen. Dieselben Kanäle plus einige weitere bewässert man dann mit dem Überfluss der eigenen Fähigkeiten und Vorteile, und schon wird man an der richtigen Stelle an Land gespült. So man Glück hat.
Wenn das wirklich so einfach ist, sollte ich es beim nächsten Mal vielleicht auch so probieren. Selbst aktiv werden, mich verbessern wollen und Anstrengung darauf verwenden. Nicht wieder einfach fallen auf Anweisung des einen in das lediglich zufällig aufgespannte Sicherheitsnetz des anderen. Ja, genau – das werde ich versuchen. Obwohl es vielleicht keine so gute Idee ist, schon über den nächsten Job nachzudenken, wenn man den kommenden nicht einmal angetreten hat.
Vielleicht bin ich tatsächlich einfach zu naiv, zu sorglos, kümmere mich zu wenig um das, was wirklich wichtig ist im Leben. Geld und Erfolg. Wobei mir Martina ja gar nichts erzählen muss – so wie sie über ihre derzeitige private Niederlage jammert, käme ein unbefangener Beobachter ziemlich wahrscheinlich doch auf die Idee, die Männer als Rasse zumindest in Gestalt eines bestimmten Exemplars spielten in ihrem Orchester gegenüber der Karriere durchaus eher die erste statt der zweiten Geige.
Immerhin ist sie unbestreitbar trotzdem eine echte Powerfrau. Ich bin das nicht. Was bedeutet, ich mache etwas falsch. Warum ist mir das nicht schon zu Beginn meiner freien Tage aufgefallen? Dann hätte ich daraus eine Ferienhausaufgabe machen können – herausfinden, woran es mir fehlt und beginnen, das aufzubauen, anzukaufen, auszuborgen oder vorzutäuschen.
Zu spät. Die Tage sind verplempert, und es gibt nichts, was ich dafür vorzeigen kann, außer einer engeren Vertrautheit in Bezug auf Deinar, die uns jetzt wie die Wilden auf der Flucht umeinander herumtanzen lässt.
Nun ja, genaugenommen ist das etwas zu pessimistisch ausgedrückt. Wenn ich mir überlege, wen ich bei und dank Mondheim alles kennen gelernt habe – wäre doch gelacht, wenn da nicht irgendwann in Zukunft das eine oder andere Gute für mich herausspringen würde. Von daher habe ich vielleicht doch genau das getan, was ich vorher so unverzeihlich versäumt hatte. Mir Kontakte schaffen. Zwar geschah das weniger bewusst als vielmehr eher zufällig, aber ein Fang ist dennoch gemacht. Sehr schön – ist mir also doch eine positive Bilanz der letzten zwei Wochen erlaubt.
Ist von daher ganz praktisch, dass nicht Deinar der mittägliche Besucher war, sondern Martina. In seiner Gegenwart wäre ich bestimmt nicht auf den erhebenden Trichter gekommen.
Als der Nachmittag verstrichen ist, schlägt Martina ein gemeinsames Essen beim Chinesen in der Waldstraße vor. Eine Superadresse – kann ich nur empfehlen. Mir ist allerdings überhaupt nicht danach, und so lehne ich ab.
Wäre ich ehrlich mit mir selbst, ich könnte feststellen, dass hinter meinem Zögern ein einziger Grund steckt – nicht fehlender Appetit, sondern meine Hoffnung, dass sich Deinar vielleicht doch noch heute meldet; oder vielmehr ersterer lediglich infolge der letzteren.
Menschenskinder – so lange kann diese dämliche Besprechung doch gar nicht dauern! Er wird sich ganz bestimmt heute noch einmal bei mir melden, um sich seine Strafpredigt abzuholen.
Oh Scheiße, sich das Denken an einen geträumten oder realen Mann abzugewöhnen ist schlimmer als von Glimmstängeln wegzukommen. Der Beweis: Raten Sie mal, woran ich beim Wort Glimmstängel denke …
***
Es war eine gute Idee, dazubleiben, statt mich zusammen mit Martina an Eierreis mit Huhn oder Ente nach Art des Hauses zu berauschen.
Nicht etwa weil meine Hoffnung sich erfüllt; sondern wegen eines Anrufes einer ganz anderen Art.
Die Stimme erkenne ich gleich, aber selbst nachdem er seinen Namen genannt hat bleibe ich ungläubig. Was sollte wohl Mondheim persönlich von mir wollen? Außer vielleicht nach Deinar fragen, wenn er ihn zufällig bei mir vermutet.
Seltsamerweise will er jedoch tatsächlich mich sprechen. Und zwar nicht am Telefon, sondern persönlich. Weder im Blättchen, noch in seiner bescheidenen Heimstatt, sondern in einem seiner anscheinend recht zahlreichen Büros; wie viele er wohl haben mag? Seine Wegbeschreibung ist besser als die von Deinar damals (sehen Sie? Ich sage es doch – Männer machen süchtig und schleichen sich überall ein!), und so bin ich bereits 40 Minuten nach dem Anruf am Zielort. Völlig unangehübscht. Mit Absicht. Der soll bloß nicht glauben, ich mache alles auf einen einfachen Zuruf hin. Meine Naivität hat Grenzen.
Was er wohl besprechen will? Na, ich werde es sicher erfahren.
Mondheim ist nicht allein; aber es ist auch nicht Deinar, der sein Büro mitbevölkert. Schade. Oder auch nicht. Nein, es ist Jakob, der Finanzbeamte. Jedenfalls glaube ich, dass er das ist. Die Erinnerungen an die Geburtstagsfeier gestern sind teilweise etwas nebulös.
Mondheim kommt gleich zur Sache. „Sie können doch schreiben?“ fragt er, noch bevor ich seiner Aufforderung zum Hinsetzen gefolgt bin. Ich verkneife mir die Antwort, das hätte ich in der Grundschule gelernt und nicke einfach nur. „Von unserem kleinen exklusiven Zirkel muss ich Ihnen ja nichts erzählen,“ fährt Mondheim fort, „das hat sicherlich Deinar schon in aller Ausführlichkeit getan. Haben Sie sich übrigens jetzt entschieden, ob Sie Mitglied werden wollen? Na, egal, das können wir ja nachher noch klären. Jedenfalls, wir brauchen für den Zirkel jemanden, der uns diverse Texte schreibt. Es soll ein Internetportal geben – natürlich etwas absolut Exklusives und nicht der übliche billige Schweinkram -, und wir wollen ein Printmagazin herausgeben. Interessiert Sie das?“
Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Ehrlicherweise muss ich zugeben, schon die wenigen Worte haben mich völlig elektrisiert. (War ich nicht diejenige, die vorhatte, die Erotik aus ihrem schreibenden Leben zu verbannen? Egal; das war, als noch die Real Life Erotik sich anzubahnen drohte. Ändert sich das eine, ändert sich auch das andere.)
Andererseits ist das ja völlig unmöglich, was Mondheim mir hier vorschlägt. Schließlich soll ich am Donnerstag in seinem Anzeigenblatt anfangen. Vorher kann ich nichts tun, denn formal bin ich noch immer Angestellte bei Maibaums Magazin, und nachher geht es nicht. Zwei Stellen auf einmal kann ich wohl kaum ausfüllen.
„Ja, aber,“ stottere ich. „Das geht doch gar nicht. Ich meine, also, ich würde ja gerne, aber ab Donnerstag …“ „Ab Donnerstag hat Deinar Sie eingeplant, ich weiß,“ unterbricht mich Mondheim. „Mit dem werde ich schon reden. Der muss dann eben ohne Sie auskommen.“
Wie? Was? So schnell wird auf einmal alles umgeschmissen, was abgesprochen war? Ist das denn in Ordnung? Die alternative Aufgabe mag mich ja noch so sehr reizen – aber was soll ich von einem Chef halten, der mich mit einem kleinen Fingerschnippen von einer seiner Firmen in die nächste schiebt? Das macht der ja dann nicht nur einmal, wo es mir vielleicht sogar ganz recht ist, sondern immer wieder. Wer weiß, wie sehr ich darüber noch in Zukunft fluchen werde. Sofern ich es lange genug bei ihm aushalte, das zu erleben.
Andererseits, grundsätzlich spricht ja eigentlich nichts dagegen. Solange ich bei dem einen Job noch nicht angefangen habe, werde ich auch nirgendwo herausgerissen. Schlimmer wäre es, wenn ich schon angefangen hätte. Trotzdem – ich kann Deinar wirklich nicht so einfach im Stich lassen; ob sein und unser Chef das nun will oder nicht. Er baut ja wohl auf mich. Rein beruflich gesehen. Auch wenn die treulose Tomate mich ersichtlich tatsächlich bis morgen Abend zappeln lassen will; privat ist privat, und Geschäft ist Geschäft. Und was letzteres betrifft, war er bislang äußerst zuverlässig und hat mir in vielem geholfen.
Als wolle er seine bislang unerklärte Anwesenheit rechtfertigen, meldet sich nun Jakob zu Wort. Er hat eine sehr leise Stimme, aber sie steckt voller Kraft. Sie passt zu ihm; er ist klein, aber absolut drahtig. Leicht zu übersehen, allerdings kaum zu umgehen, wenn er sich in den Weg stellt. Menschenkenntnis in a nutshell. „Sie müssen sich wirklich keine Gedanken machen. Das Blatt ist bis jetzt gut gelaufen, und es wird sicherlich ohne Schwierigkeit möglich sein, noch ein wenig länger ohne eine weitere Kraft auszukommen. Wir werden die Neueinstellung gleich in die Wege leiten, und ich denke, schon im Laufe des nächsten Monats ist alles geregelt. Solange kommt Deinar bestimmt ohne Sie aus – normalerweise hätten Sie ja ohnehin erst im Monat darauf angefangen, also im Juli.“
Der Herr ist ja erstaunlich gut informiert. Gut, vom Arbeitstechnischen her mache ich mir in der Tat keine Sorgen um Deinar. Niemand ist unentbehrlich – schon gar nicht dort, wo er noch gar nicht war. Bloß, so rein auf der persönlichen Ebene wird er es garantiert als Verrat sehen, wenn ich ihn schon wieder verlasse, noch bevor ich richtig angekommen bin. „Deinar hat sich so sehr bemüht, meinen Weg zum Blatt zu glätten – da kann ich ihm ja wohl kaum alles vor die Füße werfen, sobald sich eine bessere Gelegenheit bietet,“ erkläre ich trotzig.
Jakob lächelt. Das gefällt mir nicht. Es wirkt so, als hätte ich exakt wie vorhergesagt und -geplant reagiert. „Ich freue mich außerordentlich, dass Sie mit uns einer Meinung sind, diese neue Position kommt Ihren Fähigkeiten und Stärken weit mehr entgegen als die andere. Ich sehe es ebenso. Es ist die unendlich größere Herausforderung – und damit auch erheblich interessanter. Natürlich wird die Bezahlung dem voll und ganz gerecht.“
Aha – hier werden gerade alle Register gezogen. Man hat entdeckt, ich schwimme vor dem Köder, während mir bereits das Wasser im Munde zusammenläuft, und nun packt man auf den saftigen Bissen noch ein wenig Egopinseln und ein bisschen Geld obendrauf. In der Hoffnung, ich werde unmöglich lange widerstehen können. Wobei ich das „unendlich“ im Hinblick auf das Gehalt garantiert nicht wörtlich nehmen darf.
Ich mag zwar blöde sein, aber das weiß ich – unter jedem Köder lauert ein Haken, und ich glaube nicht, dass ich den hier schlucken möchte. Gerade wenn ich noch nicht durchschauen kann, worin er eigentlich besteht.
„Es geht hier nicht um Geld,“ erwidere ich scharf. „Es geht um Anständigkeit. Und das eine hat ja wohl mit dem anderen meistens nichts zu tun.“
„Jeder ist bestechlich,“ entgegnet Mondheim. „Sagen Sie einfach Ihren Preis, und ich werde zusammen mit Jakob sehen, ob sich das machen lässt.“
Na, ist das nicht klasse? Da erkläre ich, es geht mir nicht um Geld, und schon bietet man mir mehr an. Hätte ich gefeilscht, die der Herausforderung voll und ganz gerecht werdende Bezahlung hätte sich wahrscheinlich als ein Betrag zwei Euro höher als beim Blatt herausgestellt. Bin ich vielleicht einem ersten Erfolgsrezept auf der Spur?
„Sie verstehen nicht,“ beharre ich. „Ich verstehe sehr gut,“ ist nun wieder Jakob dran. Perfektes Teamwork; die beiden haben sich ersichtlich vorgenommen, mich zwischen sich aufzureiben. „Sie haben – wie soll ich sagen, moralische Bedenken.“
„Ich möchte mit Deinar sprechen, bevor ich Ihnen eine Antwort gebe,“ konkretisiere ich
Jakob nickt. „Das ist überhaupt kein Problem. Es hat auch alles Zeit bis Mittwoch – wobei nicht wir diese Frist setzen. Ginge es nach uns, Sie könnten gerne eine längere Bedenkzeit erhalten. Aber ich darf schon einmal festhalten, sobald es gelungen ist, Ihre Bedenken zu zerstreuen, können wir mit Ihnen rechnen?“
Ich weiß nicht; objektiv gesehen wird mir hier sicherlich eine Riesenchance geboten, und trotzdem komme ich mir schwer wie über den Tisch gezogen vor.
Wenn ich bloß jemanden fragen könnte, was ich machen soll! In meiner Verwirrung habe ich gar nicht mitbekommen, wie Mondheim zum Telefon gegriffen und ein paar Tasten gedrückt hat. „Deinar? Gut, dass ich Sie noch antreffe.“ Noch antreffe? Moment mal – dabei fällt mir gerade auf, das Treffen zwischen Mondheim und Deinar ist ganz offensichtlich schon längst gelaufen. Wieso hat der Arsch mich dann nicht noch angerufen? Jetzt kenne ich den Grund – er hat noch einen anderen Termin. Von dem er mir wohlweislich nichts erzählt hat. Na, er wird seine Gründe dafür gehabt haben.
Mondheims Stimme ist durchdringend genug, Deinars Ohr auch ganz ohne Analog- oder Digitaltechnik zu erreichen. „Also, hören Sie mal zu, ich hatte Ihnen doch heute Nachmittag bereits diese neuen Pläne angedeutet? Sie wissen schon, mit dem Internetportal und dem Magazin. Sie hatten ja selbst gesagt, dafür wäre die Senreis genau die Richtige. Jedenfalls, sie sitzt gerade bei mir, und sie ist durchaus nicht abgeneigt. Allerdings macht sie sich Ihretwegen einen Kopf. Ich darf Sie insofern doch beruhigen?“
Moment, Moment! Ich hatte gesagt, ich will mit Deinar sprechen! Davon, dass Mondheim das selbst übernimmt, war nicht die Rede. Ganz perfekt ist das Teamspiel zwischen Mondheim und Jakob wohl noch nicht, denn Jakob sieht auch nicht sonderlich begeistert aus.
Noch ein bisschen Gebrummel, und Mondheim beendet die Verbindung. „Er lässt Ihnen ausrichten, das sei absolut in Ordnung.“ Mehrere schleimige Felsbrocken rutschen meine Speiseröhre entlang und landen mit dumpfem Gepolter in meinem Magen. „Wollte er nicht selbst mit mir sprechen?“
Mondheim sieht mich verständnislos an. „Wieso denn? Glauben Sie, er sagt etwas anderes, wenn er Sie am Rohr hat? Nein, Frau Senreis, jetzt hören Sie mal auf, sich Gedanken zu machen und Hindernisse zu sehen, wo keine sind. Ich sagte Ihnen doch, Deinar ist einverstanden. Nicht dass ich ihn fragen müsste, streng genommen, aber Sie haben schon recht – bevor es böses Blut gibt; so ein Anruf ist ja schnell erledigt.“
Ich bin wie betäubt. Nicht nur wegen dieser unerwarteten Entwicklung, die mich völlig kalt erwischt hat, sondern auch, weil Deinar so leicht und schnell auf meine Mitarbeit verzichtet. An irgendeiner Stelle habe ich angefangen, mich in Bezug auf ihn ebenso in etwas zu verrennen wie bei Maibaum. Und so wie es aussieht, habe ich mich dabei ebenso getäuscht. Man sollte halt die flirtenden Plänkeleien während einer luftig-lockeren Feier nicht überbewerten.
Gut, gut. Wenn es denn sein soll, soll es sein. Allerdings widerwillig.
Jakob scheint mein Unbehagen zu spüren. „Wie gesagt, es ist nicht eilig. Wenn Sie sich das Ganze noch einmal in Ruhe zu Hause durch den Kopf gehen lassen wollen? Vielleicht doch noch selbst mit Deinar sprechen?“ Ein strafender Blick trifft bei diesen Worten Mondheim, der ihn jedoch nicht einmal wahrnimmt. Er ist es, finde ich, ein bisschen zu sehr gewohnt, mit anderen Menschen zu spielen wie mit Skatkarten. Nein; nicht Schachfiguren – die sind dreidimensional.
„Wieso sollte ich? Wenn für ihn die Sache so okay geht, besteht dazu keinerlei Veranlassung.“ Ich werde gerade bohren und ihm damit auf die Nerven gehen, dass ich noch einmal persönlich nachhake. Wenn er mich hätte sprechen wollen, hätte er das ohne weiteres tun und Mondheim darum bitten können, den Hörer weiterzureichen. Und jetzt zu sehr darauf zu bestehen, welch ein Schlag mein Wegbleiben für das Blatt ist, hieße nur, meine Bedeutung maßlos zu überschätzen.
„Dann sind Sie also einverstanden?“ Jakob scheint ein wenig zu zweifeln. Er traut dem Frieden nicht so ganz. Natürlich – sobald ich alleine bin, werde ich mich schon noch mit dem Problem Deinar auseinandersetzen müssen. Aber das geht ihn nichts an, und wenn für die Deinar alles klar ist, ist es das für mich erst recht.
„Selbstverständlich ist sie einverstanden,“ konstatiert Mondheim. „Ich werde Ihren Vertrag noch ein wenig abändern, und dann können Sie ihn ja am Donnerstag unterschreiben, wenn Sie hier auftauchen. Keine Angst – es wird später noch Extraräume für Ihre Arbeit geben, aber die sind noch nicht soweit. Bis dahin arbeiten Sie einfach in meinem Büro, das brauche ich sowieso nur selten. Am Donnerstag Morgen bin ich zwar anwesend, ich muss Ihnen ja noch ein paar Dinge erläutern, aber danach sind Sie hier völlig ungestört.“
Nach einem Seitenblick auf mich ergänzt Jakob: „Vielleicht so gegen neun Uhr am Donnerstag, wenn Ihnen das recht ist? Ich werde auch da sein.“
Aha – ein höflicher Mensch, der auch noch mitdenkt. Prima. Wenn mir das recht ist – als ob das eine Rolle spielte!
Jemine, schon wieder hat das Leben die Würfel neu geschüttelt und mir auf den Kopf gedonnert. Zum Glück ist bis Donnerstag genügend Zeit herauszufinden, was ich davon halten soll.