Die Burgherrin und der Fremde – Teil 2
Als die Burgherrin in ihrer Schönheit sich dem Kamin näherte, stand der Fremde auf und verbeugte sich vor ihr.
Wohlwollend betrachtete sie ihn. Der Marschall hatte sich wirklich Mühe gegeben, ihn herzurichten. Er war sauber, und er war gut gekleidet. Seine blonden Haare glänzten im Widerschein des Feuers und waren nach der Wäsche ganz fein und weich und lockig. Wie eine Aureole lagen sie um seinen Kopf herum.
Kleider machen wirklich Leute, dachte Gerlin. Frisch gewaschen und in einem schicken Outfit, das wahrscheinlich aus dem eigenen Kleiderschrank des Marschalls stammte, konnte man Laurenz ohne weiteres für einen vornehmen Mann halten.
Freundlich fragte sie ihn nach seinem Schicksal aus und ganz offenherzig berichtete er von seinem Unglück, das ihn aus seiner Burg auf die Straße getrieben und zum Bettler gemacht hatte. Wobei man es eigentlich kaum Unglück nennen konnte; denn die Verschuldung, die ihn am Ende gezwungen hatte, die Burg zu verkaufen, die war letztlich ganz alleine seinen eigenen fehlbaren Versäumnissen zuzuschreiben.
Der Fremde hatte, das erriet Gerlin aus seiner Erzählung, auch ohne dass er es ausdrücklich erwähnte – dafür schämte er sich wohl zu sehr -, die Dinge so lange schleifen lassen, bis keine Rettung mehr möglich war.
Aber auch das war ja nur eine allgemeine menschliche Schwäche, die sie ihm nicht allzu sehr negativ anrechnen wollte.
Indem sich Gerlin und Laurenz anschließend noch ein wenig über das Wetter und die allgemeine politische Lage im Land unterhalten hatten, war es spät genug geworden, ins Bett zu gehen. Der Marschall war zwischendurch noch einmal vorbei gekommen und hatte sich Anweisungen geholt, wo der Fremde untergebracht werden sollte.
Die Burgherrin hatte ihm eine der vielen leeren Kammern zugeteilt, die auf der Burg den Gästen vorbehalten waren, und der Marschall war davon geeilt, um sie vorzubereiten. Nicht dass er davon ausging, dass der Fremde wirklich dort übernachten würde … Dazu kannte er seine Herrin nun doch zu gut.
Tatsächlich wandte sie sich kurz nachdem der Marschall wieder verschwunden war Laurenz zu. Die Mägde und Diener, die sich an diesem Abend vorher in der Halle aufgehalten hatten, waren alle schon schlafen gegangen, und das Feuer war soweit herab gebrannt, dass es nur noch ganz schwach flackerte.
„Nun, Laurenz“, wandte sich die Burgherrin dann an den Fremden und beugte sich dabei weit genug vor, dass er in ihrem tiefen Ausschnitt ihre Nippel sehen konnte, „möchtest du in dieser kargen Gästekammer auf dem harten Strohbett schlafen, oder möchtest du lieber mein reich geschmücktes, gemütliches Nachtlager mit mir teilen?“
Sie war sich der Antwort, die der Fremde ihr geben würde, so sicher, dass sie zuerst gar nicht realisierte, was er ihr dann tatsächlich erwiderte: „Ich bedanke mich für das großzügige Angebot, Herrin – aber ich bevorzuge das Strohlager.“
Mit anderen Worten – er gab ihr tatsächlich einen Korb! Es war nicht zu fassen! Sie versuchte zwar, Haltung zu bewahren, verabschiedete sich zwar kühl, aber gerade noch höflich von ihm, doch so kam es, dass sie anschließend wie eine Furie durch die Gänge zu ihrer Kemenate raste und dort wütend die Tür knallte.
Das war ihr in den langen Jahren, in denen sie nach dem Tod ihres Vaters hier Burgherrin war und immer wieder fremde Gäste bewirtet, oft genug auch in ihr Bett gebeten hatte, noch nie passiert, nicht einmal!
Noch nie hatte einer der vielen Männer ihr großzügiges Angebot ausgeschlagen, die Nacht mit ihr zu teilen.
Das schrie nach Rache!