Eine schmutzige Welt

24. August 2013

Ich komme erst wieder zu mir, als er mich längst losgemacht, mir die Maske abgenommen hat und mich festhält, den zitternden Aufruhr meines Körpers an sich presst, meine Haare, meine Stirn, meine Wangen mit Küssen überhäuft. Er muss beinahe mein gesamtes Gewicht halten; ich kann kaum stehen.

Auf meinem Rücken ist ein Vulkan ausgebrochen und ergießt unaufhörlich seine Lava.

„Teermann wird mich umbringen,“ sagt Mondheim. „Das soll er mal versuchen,“ flüstere ich, und jedes Wort kostet mehr Kraft, als ich denke aufbringen zu können.

Kein äußerer Vulkan kann gegen den in meinem Inneren ankommen. Wäre ich nicht so schwach, ich würde tanzen. Was schert es mich, ob ich blute, ob die Wunden wieder aufgebrochen sind. Das ist nur äußerlich. Ich habe meine Angst besiegt, ich habe den Schmerz besiegt und die Erinnerung an die eisige Unerbittlichkeit von Deinars Hass. Nein, nicht ich war es – er war es. Oder wir waren es beide zusammen.

„Ich wusste gar nicht, dass ich soviel aushalte,“ murmelt mein Mund gegen seine Brust. Er lacht. Er wusste es; natürlich wusste er es.

„Ich denke, es wird Zeit für eine kleine Belohnung, meine Geliebte.“ Ein neuer Lavastrom ergießt sich in meinen Bauch.

Mondheim führt mich, trägt mich beinahe zu einem Bett, das mitten im Raum steht. Endlich kann ich mich umsehen. Ja, es scheint der Dachboden zu sein, aber er ist ausgebaut. Die schrägen Wände tragen weiße Raufaser, und die Balken sind blau gestrichen. Einige Geräte stehen herum, eine große Truhe, eine Kommode, ein weißer Würfel – ein Kühlschrank? – und das Bett. Ein riesiges Bett. Dankbar sinke ich darauf nieder. „Warte einen Moment,“ sagt Mondheim. Aus der Kommode holt er ein großes Handtuch, breitet es aus. Das Weiße ist kein Kühlschrank, sondern eine kleine Kühltruhe. Ein paar flache Beutel mit bläulicher Flüssigkeit greift Mondheim, die steifgefroren sind.

„Ich sehe, Sie haben vorgesorgt,“ bringe ich hervor.

Er packt die Beutel auf das Handtuch, drückt mich mit dem Rücken darauf. Kälte legt sich über den Vulkan, der noch ein wenig zuckt und protestiert, noch einige Male zeigen möchte, wie gewaltig er ist und es doch nicht mehr kann. Es tut gut.

Er kniet sich vor dem Bett auf den Boden, schiebt meine Schenkel auseinander. Schon die erste Berührung seiner Zunge verwandelt mich in ein zuckendes, willenloses Etwas, nimmt mir jede Macht über mich selbst, übergibt mich seiner, die er ausübt mit leichtem Kreisen, Saugen, einem kleinen Biss, und mit seinen Händen auf meinem Bauch, an meinen Brüsten. Ich stöhne, schreie hemmungslos. Es gibt keinen Widerstand mehr in mir.

Enttäuschend schnell konzentriert die Lust sich auf einen kleinen roten Punkt, der zittert, noch einmal entkommt, zweimal, und sich dann ergießt, ergießt, pochend, heiß, nass, unaufhaltsam, mich zurücklässt, weinend, lachend, mich an Mondheim klammernd, der neben mir liegt.

Ich habe keine Ahnung, wie ich die Treppe heruntergekommen bin zurück in sein Arbeitszimmer. Wahrscheinlich bin ich geschwebt. Seine Muskeln allerdings werden finden, dass der schwebende Geist recht schwer war.

Und ich habe noch lange nicht genug. Der erste Hunger ist gestillt, aber er hat mich überlistet, hat sich nur auf mich konzentriert, im Schlagen ebenso wie im unerbittlichen Forschen seiner Zunge.

Er hat mich jeden Schritt des Wegs begleitet, aber es war mein Weg. Ich will jetzt seinen, unseren. Es fehlt noch etwas.

Im Bad holt er eine Salbe, Verbandszeug, kümmert sich um meinen Rücken. Seine Hände sind sanfter als die von Teermann, der bei aller Vorsicht doch ein wenig ruppig ist. Zwischendurch halte ich ihn auf, greife mir diese Hände, die wehtun können, hart sein, und dann wieder so zart, zärtlich, bedecke sie mit Küssen; Handrücken, Finger, Handfläche, Handgelenk.

Etwas hat sich verändert.

Er schreckt nicht davor zurück, ganz einzudringen in mein Wesen; nicht einmal dort, wo ich ihn abblocken will, wo die Vernunft dagegen spricht. Er hat mich durchdrungen, vollständig, und mit ihm zusammen habe ich den Sieg davongetragen über den Schmerz. Er hat keine Angst, sich mit mir zu verbinden. Er hat mir nicht nur Lust geschenkt, sondern auch einen gemeinsamen Triumph über mich selbst.

Nach dem Verbinden holt er eine Decke, hüllt mich ein.

„Du wolltest einen Bericht vom Tag,“ sagt er unvermittelt. Aha – nachdem ich am Ziel angekommen bin, verweigert er sich erst einmal. Nun, wir werden sehen; der Abend ist noch lange. In Ordnung, kommen wir also erst einmal zum alltäglichen Punkt der Tagesordnung. Ich nicke.

„Ich danke dir für deine Warnung; sie hat mir sehr geholfen. Aber erst einmal sollte ich dir erklären, was es ist, wo Deinar glaubt, mir schaden zu können. Es geht um Steuerhinterziehung, Bestechung und noch ein paar andere Kleinigkeiten.“

Ich schlucke. Wie gelassen er das ausspricht.

Bin ich nun entsetzt? Nein; eigentlich nicht. Er beobachtet mich, lächelt. „Du sagst gar nichts?“ „Was soll ich sagen? Ich hoffe nur, Deinar hat nichts in der Hand, was als Beweis taugt.“ Sein Lächeln verwandelt sich in ein Lachen. „Weißt du, Anne, eigentlich müsste ich jetzt beleidigt sein, dass du mir solche Dinge so ohne weiteres zutraust. Aber ich glaube, dazu freue ich mich zu sehr über eine Partnerin, die bereit ist, notfalls auch Bonnie für mich als Clyde zu spielen. Mit einem positiveren Ende natürlich.“

„Mit anderen Worten: Es ist nichts dran an dem, was er vermutet,“ stelle ich fest.

„Lass mich ein bisschen ausholen. Es geht um drei Dinge.“ „Woher weißt du so genau, dass es um drei Dinge geht,“ unterbreche ich ihn, „wenn doch gar nichts dran ist an dem, was er denkt?“ Seine Mundwinkel zucken. Aha – das sagt mir genug. „Du bist ein ganz fieser Hund, weißt du das? Du hast ihn bewusst auf eine falsche Fährte gelockt?“ Mondheim grinst. „Nicht ganz. Sagen wir mal so, ich habe nichts getan, um einen solchen falschen Eindruck gerade zu rücken.“ Er holt tief Luft, wird ernst. „Weißt du, ich habe nicht geahnt, welche Brutalität in ihm steckt, wenn es um private Dinge geht. Ich wusste nicht, dass er seine Emotionen so wenig im Griff hat. Aber ich bin von Natur aus ein misstrauischer Mensch; ich sichere mich gerne ab. Und da es bei meinen Geschäften einige gibt, die wirklich nicht so ganz astrein sind, wenn ein strenger Bürokrat hinsieht, habe ich es gerne, wenn ich weiß, woher eine Gefahr droht, um notfalls rechtzeitig die Schotten dichtmachen zu können.“ „Du stellst also Vorwarnfallen auf,“ hake ich ein. „Genau,“ nickt er. „Wer mir gegenüber loyal ist, dem geschieht nichts. Wenn aber einer entweder von vornherein plant, mich hereinzulegen, oder mir später schaden will, der fängt sich im Zweifel erst einmal in diesen Fallen. Dann weiß ich Bescheid und kann Vorsorge treffen. Ich muss immer damit rechnen, dass jemand sich an mir rächen will. Oft genug zu Recht, weil ich ihm wirklich etwas getan habe, auch das kommt natürlich vor. Es geht dabei nicht nur um mich; es gibt eine enge berufliche Verflechtung mit vielen anderen Mitgliedern aus dem Zirkel, und ich muss die anderen ebenso schützen wie mich selbst.“

„Vor dieser Verflechtung hat Deinar mich gewarnt,“ bemerke ich. „Ich fürchte, er war dir gegenüber weit ehrlicher als mir gegenüber,“ erklärt Mondheim. „Und ich fürchte,“ falle ich ihm ins Wort, „was da gerade geschehen ist, hat weit mehr mit dir zu tun als mit mir. Im Nachhinein ist man immer klüger; mir sind inzwischen viele Dinge wieder eingefallen, die er mir gesagt und angedeutet hat. Manches erscheint mir jetzt in einem ganz anderen Licht. Er hat eigentlich immer seinen eigenen Einfluss übertrieben dargestellt, und dich und den Zirkel sehr kritisch. Wahrscheinlich war er schon lange eifersüchtig auf dich, bevor ich auf der Bildfläche erschienen bin. Ich war sozusagen nur der letzte Tropfen.“

Ich zögere. „Lahning hat ihn auf deiner Feier einen kleinen Emporkömmling genannt. Was meint er damit?“

„Deinar ist nach der Trennung von seiner Frau regelrecht abgestürzt,“ erwidert Mondheim. „Er hat getrunken, ist nicht zur Arbeit erschienen, hat Fehler gemacht. Einige davon waren gravierend. Damals war er ein ganz normaler Mitarbeiter beim Blatt, wie alle anderen. Als der bisherige Chefredakteur pensioniert worden ist, habe ich ihn zum Chefredakteur gemacht.“

„Aus dieser Situation heraus?“ frage ich ungläubig. „Aus dieser Situation heraus,“ bestätigt Mondheim. „Es gab viele, die mir damals abgeraten haben. Aber die Entwicklung schien mir recht zu geben. Er hat sich sehr schnell gefangen und ist an der neuen Verantwortung gewachsen.“

Meine Wut auf Deinar steigt.

Ich weiß, es ist eine allgemeine menschliche Schwäche, es dem böse nachzutragen, der einem aus einer tiefen Schlucht herausgeholfen hat, in die man gestürzt ist. Die Emotion selbst ist vielleicht verständlich; danach zu handeln ist und bleibt eine Sauerei.

„Aber so ganz getraut habe ich ihm nicht, das muss ich zugeben; vielleicht hat er das gespürt.“ „Aber klar – es ist alles deine Schuld, dass er so ausflippt,“ schnaube ich. Mondheim zuckt die Achseln. „Es ist sicher nicht leicht, damit zu leben, dass ich ihn in seinen schlimmsten Stunden gesehen habe, ihn dann auf eine höhere Stufe gehievt und ihm trotzdem nie vollständig vertraut habe. Dabei sollte er wissen, es gibt ohnehin nur wenige Menschen, denen ich wirklich vertraue.“

Verlockend öffnet sich ein kleiner Nebenpfad. Wem vertraut er, wem vertraut der misstrauische Daniel Mondheim? Der Hoffmann, mit Sicherheit. Seiner Assistentin. Seiner Frau? Mir? Energisch schüttele ich diese Gedanken wieder ab.

„Du siehst ja, wie recht du damit gehabt hast, dich nicht auf ihn zu verlassen,“ hole ich mich selbst auf den Hauptpfad zurück. „Und was hast du gemacht?“

„Gemacht habe ich gar nichts,“ protestiert er, aber er grinst dabei. „Aber ich muss noch ein wenig ausholen. Deinar ist seit dieser Zeit nicht nur der Chefredakteur vom Anzeigenblatt, er war auch mit verschiedenen anderen Aufgaben betraut. Inzwischen schäme ich mich beinahe, es zuzugeben, aber eine Zeitlang habe ich mit dem Gedanken gespielt, ihn noch weiter zu fördern, nachdem er sich so gut gemacht hat. Ihn als einen meiner Stellvertreter aufzubauen. In dem Zusammenhang hat er verschiedene Dinge mitbekommen.“

Er lehnt sich zurück. „Da sind einmal regelmäßige Überweisungen ins Ausland, nach Südamerika. Jeden Monat etwas über 5.000 Euro, manchmal kleinere oder größere Zwischenzahlungen, und einmal eine größere Summe von 250.000 Euro. Er denkt, das sei alles Schwarzgeld, das ich am deutschen Fiskus vorbei in Sicherheit bringe, weil er den Empfänger kennt.“

„Und der wäre?“ dränge ich. „Mein Neffe. Du siehst, natürlich sieht das so aus, als sei alles getürkt. Und es stimmt – ein bisschen Vettern- oder vielmehr Neffenwirtschaft ist schon dabei. Woanders würde Hartmut sicher kein so hohes Gehalt bekommen. Dazu kommt, dass ich insofern immer sehr geheimnisvoll getan habe. Mein Bruder – er ist ein etwas seltsamer Mensch. Ich mag ihn, ich mag ihn sehr, aber wir stehen auf so unterschiedlichen Positionen, weiter auseinander könnten wir kaum sein. Er ist Künstler. Brotloser Künstler, und er wird den Teufel tun, sich von irgendjemandem helfen zu lassen, erfolgreicher zu sein; schon gar nicht von mir. Das Gleiche erwartet er von Hartmut, aber mein Neffe ist anders. Er ist mir viel ähnlicher als seinem Vater. Er ist nach Südamerika gegangen, um den ganzen ethischen Ansprüchen seiner Eltern zu entkommen, die sie versucht haben, ihm aufzudrücken. Wobei er die Befreiung davon ja allein in sich selbst finden kann, nur vielleicht ist er noch ein bisschen zu jung, um das zu wissen. Aber es ist enorm, wie selbständig er geworden ist in den letzten zwei Jahren. Er wird seinen Weg machen. Jedenfalls, wenn mein Bruder wüsste, sein Sohn lebt durch mein Geld wie die Made im Speck, wie er sich ausdrücken würde, er würde durchdrehen und allen die Hölle heiß machen. Deshalb habe ich versucht, das alles unter dem Deckel zu halten. Aber es läuft vollständig korrekt. Ich habe eine Firma dort, und Hartmut ist deren Angestellter. Er programmiert für die Firma, oder vielmehr für mich, Computerspiele, und er ist ein hervorragender Programmierer. Die Zwischenzahlungen, das ist, wenn er jemanden für ein Drehbuch bezahlt, für Handbücher, für Grafik oder was auch immer. Die Viertel Million, damit wurde das Haus gekauft, in dem er lebt. Es gehört der Firma – er muss Miete zahlen für die Räume, die er privat nutzt. Und selbst wenn ich ihm zuviel zahle – was macht das? Das Geld wird zwar nicht hier versteuert, aber dafür drüben. Jedenfalls, das hat schon alles seine Ordnung.“

Ich höre aufmerksam zu. Es ist schön, ganz nebenbei noch ein paar Dinge über ihn zu erfahren. Er hat also einen Bruder. Ob ich den wohl jemals kennen lernen werde? „Und die zweite Sache?“

„Das sind Zahlungen an Jakobs Frau. Unregelmäßig und in ganz unterschiedlicher Höhe. Deinar weiß davon, aber ich habe sorgfältig darauf geachtet, dass er nicht weiß, warum die Gelder fließen.“

„Und er denkt, es seien Bestechungsgelder, die für Jakob gedacht sind, um dir beim Finanzamt Vorteile zu verschaffen,“ denke ich laut. „Richtig. So, wie sich Lieschen Müller halt solche Dinge vorstellt.“

Die Verachtung in seiner Stimme gefällt mir. Es ist die Arroganz des geschickten Taktierers gegenüber den plumpen, naiven Vorstellungen Deinars. „Selbstverständlich ist auch das absolut einwandfrei. Jakobs Frau hat ein Übersetzungsbüro, und sie übersetzt fast alles, was bei mir anfällt. Handbücher, Flyer, Cover, Geschäftsbriefe. Natürlich gehe ich zu ihr, auch um Jakob einen Gefallen zu tun; obwohl sie wirklich gut ist. Die ganzen unterschwelligen Strömungen sind es, die Deinar auch gespürt hat.“

„Man tut sich gegenseitig einen Gefallen,“ wiederhole ich, was ich neulich in Zusammenhang mit dem Zirkel von ihm gehört habe, auf den sich die netten kleinen Handschläge mit ihren ausgesprochenen und unausgesprochenen Absprachen sich ja gewiss nicht beschränken. „Exakt,“ bestätigt er. „Bloß, Deinar stürzt sich auf das Offensichtliche und greift damit total daneben.“

„Und das dritte, das ist die Angelegenheit mit Lahning,“ komme ich nun selbst darauf. „Richtig. Das ist die Sache, wo es am ehesten brenzlig werden könnten – allerdings nicht halb so brenzlig, wie Deinar glaubt. Ich habe ihn da ein wenig – nun, sagen wir, unvollständig informiert. Vor allem im Laufe der letzten zwei Wochen. Es kann durchaus sein, dass Lahning Ärger bekommt. Deshalb habe ich ihn gleich angerufen. Er wird schon darauf achten, seinen Arsch in Sicherheit zu bringen. Mein Anwalt ist heute auch noch einmal alles durchgegangen. Aller Voraussicht nach wird Deinar auch dort keinen Vorstoß machen können. Sicher kann man allerdings nie sein. Deshalb habe ich heute noch ein paar andere Räder ins Rollen gebracht; unter anderem Lahning selbst, der Deinar sowieso nicht ausstehen kann.“

Nach den vielen Worten summt die Stille danach im Raum.

Er dreht sich zu mir, nimmt meine Hände, sieht mich an. Wie gerne ich mich dem Energiestrom seiner Augen ausliefere. „Ich lebe in einer völlig anderen Welt als du, Anne. Sie ist manchmal ziemlich schmutzig, und wenn du einmal in diesem Fahrwasser gelandet bist, machst du mit, wirst ständig weitergetrieben. Da bleibt die Anständigkeit manchmal auf der Strecke. Bist du erschrocken, Anne, über das, was ich getan habe und tue? Stört es dich, stößt es dich ab?“

„Nein, nein und nein,“ sage ich, und begleite jedes nein mit einem Kuss auf seine Handfläche. „Ich weiß, dass deine Welt eine ganz andere ist. So ähnlich wir selbst uns auch in vielem sind. Nur in einem Punkt muss ich dir widersprechen. Die Anständigkeit bleibt bei dir nicht auf der Strecke. Du schwimmst im Haifischbecken, und wenn du nicht selbst zum Hai wirst, gehst du unter. Was interessieren mich die ganzen Tricks und kleinen Schiebereien? Wichtig ist mir etwas anderes. Du verletzt und vernichtest keine anderen Menschen, solange sie dir nichts getan haben. Das ist entscheidend.“

„Bist du sicher, dass du nicht eine zu gute Meinung von mir hast, Anne?“

Ich muss lächeln. „Ja, da bin ich sicher. Ich schätze dich wahrscheinlich aus ganz anderen Gründen als die meisten deiner Freunde und Bekannten. Denen gefällt ja genau dein Haifischbenehmen. Unsere ganze Gesellschaft bewundert es. Wer mit ein paar kleinen Absprachen unter der Hand Hunderttausende gewinnt, zu dem sieht man auf. Wenn jemand, der mit dem Existenzminimum lebt, um ein paar Hundert beschummelt, sieht man auf ihn herab und beschimpft ihn.“

„Dabei ist das viel entschuldbarer als die Betrügereien für mehr Reichtum statt fürs Überleben,“ wirft Mondheim ein.

Mir wird ganz warm, dass wir in diesem Punkt ähnlich denken.

Ich liebe ihn.

„Ich liebe dich,“ sage ich.

„Ich dich auch,“ flüstert er. „Oh, Anne – und wie sehr!“

Einige Augenblicke verharren wir, dann spricht er weiter. „Anne, es ist gefährlich, was wir machen; uns so sehr aufeinander einzulassen.“

Mein Herz stockt. Ist das der einleitende Satz zur Erklärung, dass wir wieder beenden müssen, was kaum begonnen hat? Ist sein Eingeständnis nicht der Beginn von noch mehr Tiefe, sondern der Punkt der Umkehr, wird es sich entwickeln zu einer Abschiedsrede? Ich versuche, die fliehende Wärme zu retten, mich ganz klein zu machen, zu schützen, was so weit offen daliegt, geöffnet für ihn, verwundbar, schutzlos.

„Ich habe gleich befürchtet, dass ich bei dir den Rückweg nicht finde zurück in die Normalität vor dir. Und schon am letzten Dienstag, nicht nur am gerade vergangenen, habe ich angefangen mir zu wünschen, nie wieder zurückgehen zu müssen. Aber ich weiß nicht, wie ich das machen soll. Es ist – es gibt soviel, das dem entgegen steht. Nicht nur meine Frau.“ Ein scharfer Blick trifft mich. „Wie oft hast du schon an sie gedacht, dich gefragt, was sie mir bedeutet, ob sie etwas weiß von dir, ob sie verhindern wird, dass wir uns weiter treffen?“

Ich senke den Kopf. „Zu oft.“


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