Mein erstes Sklavinnenhalsband

5. Juli 2013

Über einen vom SM-Stammtisch habe ich den Draht zu einer Domina gefunden. Sie wird ein Auge auf den geplanten virtuellen Workshop werfen und ist bereit, gegen Werbung auch für Fragen zur Verfügung zu stehen. Wobei ich schon plane, das meiste selbst zu machen; aber eine echte Fachfrau muss schon sein.

Eigentlich wollte ich das Portal werbefrei halten. Aber was spricht dagegen, auf der Seite, wo wir ihr Beratungsangebot erläutern, ein Banner von ihr einzubauen? Eine kostenlose Anzeige im zukünftigen Printmagazin kann ich ihr ebenfalls zusichern. Und dann habe ich vor, einen Bericht von einem Besuch in ihrem Studio zu bringen. Den darf der arme Mensch machen, der den Kontakt zu ihr hergestellt hat. Neben einer kurzen Reportage über den örtlichen Stammtisch natürlich. Ich nutze rücksichtslos alle und jeden aus, den ich kenne oder der mir neu über den Weg läuft.

Es werden immer mehr Seiten; das Portal füllt sich ordentlich.

Endlich rufe ich auch einmal SirtaM an, mit der ich die ganze Zeit nur per Mail korrespondiert habe. Zu meinem Entsetzen stellt sich heraus, SirtaM ist in Wirklichkeit keine Frau, sondern ein Mann. Ich muss mehrfach schlucken, um mir nichts anmerken zu lassen. Nun ja, Hauptsache, sie – er – kann schreiben. Hoffentlich ist das andere wenigstens eine echte Autorin.

Mitten in den Einbau der drei Artikel von Gastner, dem Anwalt – der mir übrigens vorhin durch seine Sekretärin hat mitteilen lassen, er könne leider nicht heute Abend; was mir gerade recht ist -, platzt ein Anruf. Es ist Jakob. Nach ein wenig Höflichkeitsgeplänkel kommt er zur Sache. „Mondheim kümmert sich um Sie?“ „Selbstverständlich,“ bringe ich hervor, während Wärme meine Kehle zuschnürt. Jakob lacht. „So selbstverständlich ist das gar nicht – wir erleben da manchmal ganz anderes. Aber Sie haben recht, bei Mondheim müsste ich eigentlich nicht fragen. Vor allem nicht, was Sie betrifft. Vielleicht sollte ich das nicht sagen – er hat selten etwas mit soviel Energie betrieben, wie er sie in Bezug auf Ihre Person ausstrahlt. Sie wissen, wenn etwas ist, können Sie sich jederzeit auch an mich wenden. Das mag Ihnen überflüssig erscheinen – doch ich sage lieber etwas Überflüssiges, als dass ich etwas Wichtiges versäume zu erwähnen.“ „Ich danke Ihnen,“ erwidere ich. „Es ist gut, das zu wissen.“

„Es wurde ja beim letzten Mal schon deutlich,“ fährt er fort, „es wird noch ein weiteres Gespräch vor Ihrer Initialisierung geben. Meistens sind diese Termine dienstags. Passt es Ihnen nächste Woche?“ Wieso spricht er das mit mir ab? Ich bin doch gar nicht diejenige, die das zu entscheiden hat. „Herr Jakob, ich finde es sehr entgegenkommend von Ihnen, dass Sie sich an mich wenden, aber ich fürchte, ich kann Ihnen da keine Antwort geben. Mondheim wird entscheiden, und ich werde da sein.“

Er schweigt eine Weile. „Habe ich etwas Falsches gesagt?“ frage ich ängstlich. „Ich wollte Sie nicht beleidigen. „Nein, nein,“ beeilt er sich zu sagen. „Nein, wie am Dienstag auch haben Sie genau die richtige Antwort gegeben. Ich bin nur – etwas erstaunt. Verzeihen Sie, aber ich hatte, als ich Sie kennen lernte, eher den Eindruck, als gehörten Sie sozusagen zur anderen Seite, wenn Sie wissen, was ich meine.“

Seine Vorsicht bringt mich zum Lachen. Er hat ja so recht! „Sie sind nicht der einzige, der erstaunt ist. Ich wundere mich selbst ein wenig. Auf der Geburtstagsfeier hätte ich auch jedem gegenüber steif und fest behauptet, die dominante ist meine Rolle.“ „Und dann?“ Ich finde seine Neugier nicht einmal aufdringlich; im Gegenteil, es ist angenehm, mit jemanden reden zu können über das, was mit mir passiert ist, zumal wenn dieser Jemand genau weiß, wovon ich spreche. „Und dann – ja, und dann kam Daniel Mondheim. Ich kann es nicht einmal richtig erklären. Es ist einfach so, dass Dinge, die mir früher unmöglich erschienen sind, auf einmal zu meinem Leben gehören und ich sie nicht mehr missen möchte.“ „Ein Beweis dafür, dass es bei uns nicht anders als überall sonst auf den richtigen Partner ankommt,“ bestätigt er. „Zumindest wenn man mehr will als ein paar spezielle Techniken ausüben oder erfahren. Wenn man mehr sucht als gestaltlose Lust.“

Schön hat er das formuliert. Gestaltlose Lust. Die er ersichtlich nicht gutheißt. Umso mehr freut mich diese Übereinstimmung, weil er ein Mann ist; ich bin ja immer geneigt, Männern die Gier nach eben jener gestaltlosen Lust zu unterstellen. Pfui Spinne, wie kann man nur so vorurteilsbeladen sein als moderne Frau!

Eine Stunde später erreicht mich ein Mail von Mondheim. Ein privates. Der Termin am Dienstag steht. Auch diesmal wird er meine Kleidung bestimmen, lerne ich. Ein ganz normales Sommerkleid wird das wohl nicht werden. Er warnt mich vor – an demselben Tag hat Deinar sein erstes Gespräch.

Wen kümmert das?

Wie war das – Platzhirschgerangel. Mein Platz hat seinen Leithirschen gefunden, und sollte den einer vertreiben wollen, kriegt er es nicht nur mit ihm, sondern auch mit mir zu tun.

Ich bin gespannt, was für einen kleinen Test man beim zweiten Termin für mich vorbereitet hat. Anscheinend geht ja nichts ohne. Das Gute ist, gerade Jakob kriegt das so völlig harmlos und unschuldig hin, man sieht die Probe gar nicht, bis man durch sie hindurchgesegelt ist; mit welchem Ergebnis auch immer. Das erste Mal spüre ich Angst zu versagen. Nicht nur meinetwegen; immerhin bürgt Mondheim für mich, und wenn ich einen Fehler mache, badet er das mit aus. Bisher habe ich mir nicht viele Gedanken darüber gemacht – aber es hängt soviel davon ab, dass ich alles richtig mache.

Am liebsten würde ich Mondheim ausfragen, wie ich mich verhalten muss, aber das ist gegen die Regeln. Trotzdem liegt das Geheimnis darin, mich von ihm führen zu lassen. Auch und gerade dort, wo er gar nicht offensichtlich führt.

Die Freiheit, die er mir lässt, die Tatsache, dass er mir so wenig vorschreibt, mich selbst entscheiden lässt, das ist die Gefahr; aber es ist auch die Verbindung, die uns hält. Es ist einfach, jemandem zu folgen, der jeden meiner Schritte choreographiert; und es weckt automatisch meinen Widerspruchsgeist, so dass ich eben nicht folge. Bei Mondheim ist es anders. Er steht nur neben mir, begleitet mich, und ich muss selbst die Schritte finden. Da fällt es mir leicht, nach denen zu suchen, die er sehen will; anders als ich hat er das fertige Bild im Kopf, aber ich muss es erst finden.

Eines der kleineren Probleme, meine Kleidung für morgen, habe ich inzwischen glücklicherweise lösen können. Ich besitze ein schwarzes Leinenkleid, das mit nur drei Knöpfen zu schließen und wieder zu öffnen ist. Solange ich sitze und die Beine übereinanderschlage oder still stehe, sieht man das gar nicht; es wirkt vollständig geschlossen. Aber wehe, ich mache eine Bewegung. Der eine Knopf ist direkt in Brusthöhe, unterhalb des tiefen Ausschnitts, der zweite zwischen Bauchnabel und Venushügel, und der dritte nur wenig darunter. Das wird möglicherweise etwas problematisch ohne schwarzen Slip darunter.

Das Kleid ist sehr weit, deshalb ist es nicht halb so schamlos, wie man nach dieser Beschreibung denken sollte. Auf einen Gürtel werde ich verzichten. Obwohl ich Gürtel liebe; breite Gürtel. Halt – wieso nehme ich nicht einen, der mit einer Handbewegung zu öffnen ist? Der schwarze mit der Goldstickerei, der müsste es tun. Einmal aushaken, und schon ist er entfernt. Mondheim hat ja nicht gesagt, ich darf mich nicht herausputzen. Natürlich will ich schön sein für ihn, und mit Gürtel sieht alles einfach viel besser aus. Dazu einfache Ballerinas, die sind notfalls gleich ausgezogen.

Ich habe ja keine Ahnung, was mir bevorsteht; ob ich barfuss herumlaufen muss oder was auch immer.

Am Freitag Abend wird es sehr spät, fast zehn, bis ich aus dem Büro komme. Was für ein Glück, dass Gastner abgesagt hat; und noch dazu ohne neuen Termin. Gäbe es nicht den morgigen Nachmittag, ich glaube, jetzt würde ich die Handynummer doch auspacken.

Als ob Mondheim es ahnen könnte, wartet zu Hause auf meinem privaten Account ein Mail von ihm. Woher er bloß die Mailadresse hat? Na, am besten frage ich danach nicht weiter. Er wird schon seine Methoden haben, sich Informationen zu beschaffen.

Nachdem fünf Mails hin und hergegangen sind, eines voller mit Anspielungen als das vorherige, klingelt das Telefon. „Also weißt du, dich zu hören ist mir dann doch noch lieber als von dir zu lesen.“

Ich möchte soviel sagen, dass ich kein Wort herausbringe. „Alles in Ordnung, Anne?“ fragt er leise, und jedes Wort ist ein kleines Band in meinem Bauch, das sich hin und her schlängelt zu einer Musik, deren Takt mein klopfendes Herz unregelmäßig schlägt.

Wir reden nicht lange, aber seine Stimme begleitet mich in den Schlaf.

***

Ich weiß nicht, wie ich es geschafft habe, in den Stunden vorher nicht durchzudrehen vor Nervosität. Endlich, endlich, endlich ist es 20 vor vier, und ich kann losfahren. Lange habe ich noch überlegt, ob ich ihm etwas mitbringen soll. Aber was kann ich ihm schon geben, was er nicht schon längst hat oder sich jederzeit beschaffen kann – außer meiner eigenen Person? Außer meinem Körper, meinem Geist, meiner Aufregung, meiner Angst. Und meinem Hunger.

Der Weg dehnt sich endlos; besonders das letzte Stück bis zur Haustür. Das Tor ist diesmal nicht offen, ich muss das Fenster heruntersurren lassen, den Klingelknopf betätigen. Dann schwingt es auf, mit einem leisen Geräusch.

Ich parke vor dem Haus auf der Fläche, auf der das letzte Mal so viele Autos standen, dass wir auf der Straße parken mussten, und wo nun kein einziges anderes ist.

Er kommt mir die Treppe hinunter entgegen – heute trägt er keinen Anzug, sondern eine helle Stoffhose und einen leichten dunkelblauen Sommerpullover -, nimmt meinen Arm, führt mich eine Treppe hoch, in sein mir ja schon bekanntes Arbeitszimmer im ersten Stock, das viel zu klein ist für das große Haus, und das mich auf Anhieb begrüßt, einhüllt. Es ist ausschließlich seines, das weiß ich, ohne dass er es mir erklärt. Viele Sitzgelegenheiten, überall Leder, ein bunter Teppich, ein riesiger Schreibtisch, voll beladen mit Papier, Büchern, Zeitungen. Zwei Wände voller Regale, wieder mit Büchern. Ein einziges Bild an der Wand, über einem Sofa. Ich kenne den Maler nicht, aber es gefällt mir. Auf dem Tisch davor steht eine Kanne. Sogar Kuchen gibt es; nicht, dass ich momentan etwas herunterbringen könnte.

In der Kanne ist Tee, stelle ich fest, als er eingießt. Das beruhigt mich; Koffein brauche ich nun wirklich keines als Aufputschmittel, dafür reichen die Situation selbst und seine Anwesenheit vollends aus. Zucker und Sahne sind auch da – er hat aufgepasst. Die Geste rührt mich, ich greife nach seiner Hand, führe sie gegen meine Lippen. Er streicht mir über die Wange. „Übrigens, damit du beruhigt bist – meine Frau ist nicht da. Sie ist seit heute für zwei Wochen in Urlaub; irgendwo am Mittelmeer.“

Mehr sagt er nicht. Ich möchte fragen, aber ich weiß, ich soll nicht, darf nicht. Irgendwo am Mittelmeer – weiß er den Ort nicht, oder will er ihn mir nicht sagen, die offensichtliche Manifestation der Vertrautheit bewusst zurückhalten? Andererseits – was ist das für eine Vertrautheit, in der einer allein Urlaub macht. Aber das geht mich nichts an, und ich weiß auch ohnehin zu wenig darüber, um Schlüsse ziehen zu können. Ich schäme mich der Anfänge von Überlegungen, die mir nicht erlaubt sind.

„Ich möchte dich fotografieren,“ sagt Mondheim, noch bevor ich die ersten Schlucke Tee genommen habe. „Mit deinem Kleid, ohne dein Kleid, und in den Stadien dazwischen.“

Meine Fußsohlen prickeln. Ich hasse es, fotografiert zu werden. Kaum Bilder von mir gibt es – genau aus diesem Grund.

Er steht auf, stellt Musik an. Cat Stevens. Ja, auch das passt. Zwei Interpreten zumindest gibt es also schon, die wir beide mögen.

Die Digitalkamera auf seinem Schreibtisch, die ich vorhin kaum beachtet habe, zieht meine Blicke magisch an. Vor allem jetzt, wo er sie in den Händen hält.

Unsicher, linkisch komme ich hinter dem Tisch hervor.

Nein, das wird nicht einfach.

Ich drehe mich um, zeige ihm den Rücken. Er sagt nichts, aber ich höre das leise Klicken der ersten Aufnahmen.

Ich versuche, nicht an den Apparat zu denken, erinnere mich an den Dienstag Abend, den Mittwoch Abend, den Donnerstag Abend, fühle, wie meine Glieder weicher werden.

Irgendwann drehe ich mich um, beobachte die Bewegung seiner Arme, die Verschiebung seiner Hüfte, wenn er eine andere Position annimmt.

Als er die Kamera herunternimmt, weiß ich, was er haben will. Ich greife nach dem Gürtel, nehme ihn ab. Er fotografiert wieder. Noch einmal wirbele ich herum, genieße das Bauschen des weiten Rockes, dann öffne ich den ersten Knopf.

Den zweiten.

Den letzten.

Das Atmen fällt mir schwer. Meine Hände fassen den Saum, zwischen Knöpfen und Knopflöchern, streifen den Stoff langsam über meine Schultern, erst nur bis in Taillenhöhe. Es klickt, klickt, klickt, und das Geräusch ist wie eine Sublimation der Gier in seinen Augen, die ich nicht sehen kann.

Endlich fällt das Kleid. Darunter bin ich nackt, wie versprochen.

„Warte,“ sagt er. „Bleib so stehen.“

Er legt die Kamera weg, geht an einen Schrank, öffnet eine Schublade, holt ein blaues Päckchen heraus. Es hat die Größe einer Pralinenschachtel; aber aus irgendeinem Grund bin ich ganz sicher, er wird mir jetzt bestimmt keine Süßigkeiten anbieten.

Er kommt auf mich zu, hält mir das Blau hin. Ich nehme es, löse die silberne Schleife, schlage sorgfältig, vorsichtig, das Papier auf, lasse beides fallen, weil ich den Augenblick nicht durch Ordnungsliebe unterbrechen möchte. Es ist eine kleine Lederkassette, die ich nun in der Hand halte. Mit einem Klacken öffnet sich der Deckel, zeigt mir ein Halsband aus einem silberfarbenen Metall.

Es ist ein glatter, vollendeter Kreis, durch keinen Verschluss unterbrochen.

Unwillkürlich erinnere ich mich an den Mittwoch, als er einmal kurze Zeit meinen Hals mit beiden Händen umfasst hielt. Ein wehrloses, schreckliches, unglaublich intimes, schauerlich schönes Gefühl. Das, wie ich jetzt vermute, noch einem anderen Zweck diente; dem Maßnehmen. Denn das Teil, das da vor mir auf dunkelrotem Samt liegt, das wird mir passen wie angegossen, das ahne ich.

An einem kleinen Bändchen sind zwei Schlüssel befestigt; wobei ich nicht auf Anhieb sehe, wie man selbst mit diesem Hilfsmittel in der Lage sein soll, das Teil zu öffnen.

„Ich muss dazu etwas erklären,“ unterbricht Mondheim meine Versunkenheit in die Endlosigkeit dieses perfekten Symbols. „Die Regeln des Zirkels erlauben es nicht, dass ich dir dieses Zeichen unserer Verbundenheit anlege, bevor meine Mentorenschaft beendet ist. Aber ich möchte, dass du es ab sofort trägst.“

Mein Herz pocht wie wild.

Ich will, oh mein Gott, natürlich will ich es tragen, dieses Band.

Nur, in seinen wenigen Worten liegt die Konsequenz – wenn ich es tue, kann ich nicht mehr Mitglied des Zirkels werden, denn ich verstoße damit gegen dessen Kodex. Ich hebe den Kopf, sehe ihn an. Was will ich – ihn, oder den Zirkel?

Ich muss mich nicht entscheiden. Dem Zirkel werde ich für immer dankbar sein, mir diese Möglichkeit gegeben zu haben, Daniel ihm vorzuziehen.

„Bitte, legen Sie es mir an.“

Er zögert, ein Fragen in seinem Blick. Er glaubt es nicht, dass ich ihn will, nur ihn. Nicht das, was er mir verschaffen kann. Kontakte, die Einbeziehung in eine Gemeinschaft, Einfluss. Macht.

Ich brauche keine Macht. Meine Macht liegt in mir – und in dieser kleinen Unsicherheit, die ihn zweifeln lässt.

Langsam, bewusst, gehe ich hinunter auf meine Knie, noch immer die Kassette in der Hand, sehe zu ihm auf, bis ich vollständig knie, dann senke ich den Blick. „Bitte, legen Sie es mir an.“

Er kommt hinunter zu mir, umfängt mich, presst mich an sich, als sei ich etwas so Kostbares wie sein vollkommenes Geschenk. Ich spüre seinen Herzschlag, und meine Dankbarkeit über seine umspült mich wie ein warmes Bad, in dem ich mich ausdehne, Platz greife, mich löse von allem anderen außer dieser Umarmung, die etwas besiegelt.

Nach einer langen Zeit greift er nach dem silbernen Metall und den Schlüsseln. Ob er vorher geübt hat, mit dem geheimnisvollen Verschluss umzugehen? Er kann es so gut.

Und dann liegt das Band um meinen Hals, und ich weiß, ich werde nicht in der Lage sein, es wieder abzunehmen. Selbst wenn er mir die Schlüssel dazu gäbe, die er gerade ganz selbstverständlich in die Tasche gesteckt hat.

***

Dieser Samstag ist einer der goldenen Tage im Leben, die weh tun in ihrer Vollkommenheit. Es gibt nicht viele davon. Die meisten Tagen zerstören das Glück, noch bevor es den Aufstieg zum Gipfel ganz hinter sich hat. Und der Abstieg sorgt durch kleine Katastrophen garantiert dafür, es wird nicht allzu viel goldener Schimmer sein, den wir mitnehmen können nach unten, in den Alltag. In den so schrecklich normalen, banalen Alltag.

Ich weiß, auch der goldene Schimmer, mit dem Daniel mich überschüttet hat, obwohl das Band silbern ist, er wird rasch verloren gehen in dem, woraus nun einmal hauptsächlich alles besteht. Aber ich weiß auch, im Album der Erinnerungen in meinem Kopf wird dieser Tag eine ganze eigene Seite erhalten und einen Rahmen. Man vergisst leicht, man täuscht sich selbst, man verändert – die Polaroid-Schnappschüsse des Lebens. Aber das ist kein Schnappschuss, es ist ein Portraitfoto.

Der Sonntag verläuft ruhig. Beinahe mechanisch erledige ich das, was zu den Wochenenden dazugehört; Anrufen, Kontakt halten zu den Menschen in meiner Nähe, Aufräumen, die nächste Woche vorbereiten.

Am Montag, gleich morgens um halb neun, also ungewöhnlich früh für einen Programmierer (kommen die überhaupt vor dem Mittag ins Büro?) zeigt mir Jasmund tatsächlich eine erste Betaversion des Kontaktmarkts. Gemeinsam entdecken wir etliche Fehler, die noch ausgebügelt werden. Er wird mir beinahe sympathisch, weil er sich auch in Abwesenheit des Chefs nicht benimmt, als sei er der Dalai Lama ohne dessen Charakter und müsse einem völlig Unbedarften die Technik darreichen wie ein allmächtiger Gott einem angstvollen Menschen das Feuer. Er lässt mich sogar helfen, im Quelltext die Fehler zu suchen. Glauben Sie mir, ich kann das – auch ohne große Ahnung von PHP. Ich finde die falschen Variablen, die vergessenen Dollarzeichen, Fragezeichen und anderes in einigen Fällen sogar schneller als er. Und zwar eben weil ich von dem ganzen Programmtext nichts verstehe und deshalb suche wie ein Computer – unabgelenkt durch Zusammenhänge.

Er verspricht, bis zum Mittwoch alles ausgebügelt zu haben. Dann gehen wir den anderen Anzeigenmarkt durch, den allgemeinen. Der interessiert ihn sichtlich mehr als der Kontaktmarkt. „So etwas Ähnliches habe ich schon mal programmiert,“ erklärt er. „Da habe ich jede Menge fertige Module, die ich nur anpassen muss, das wird schnell gehen.“ Einem Programm ein neues Layout zu verpassen, scheint mir als Laie mit das Schwierigste zu sein – aber das ist für die meisten Programmierer, wenn ich meine bisherigen Erfahrungen auswerte, ein kaum erwähnenswerter Klacks.

Nun denn – Mondheim hat mir den richtigen zur Seite gestellt mit seiner zweiten Auswahl. Fragt sich nur, was ich mit Siebert mache, der ja wohl ab heute wieder da ist. Es hilft nichts – in den sauren Apfel muss ich beißen, ihm mitzuteilen, er ist draußen, auch wenn ich das lieber einem anderen überlassen würde. Dafür kommt ja nur Mondheim in Frage – und der hat weiß Gott auch ohne das genug zu tun.

Siebert ist an seinem Platz; aber es ist ja auch schon nach elf. Ich erkundige mich zuerst überschwänglich nach seiner Gesundheit. „Ich bin bei weitem noch nicht wieder richtig auf dem Damm,“ erklärt er mir. „Und die Woche habe ich noch mehrere Arzttermine, für Sie falle ich also weitgehend aus.“ Woher hat Mondheim gewusst, dass es so kommen wird?

So, jetzt tief Luft holen und das sagen, wovor ich zurückschrecke. „Das tut mir Leid für Sie, und ich kann Ihnen da nur alles Gute wünschen. Unter den Umständen wird es Sie freuen zu hören, dass Jasmund Ihre Arbeit für mich übernimmt. So können Sie sich in aller Ruhe darauf konzentrieren, wieder gesund zu werden.“

Siebert schweigt eine Weile. Eigentlich müsste er sich freuen – er wollte den Job ja gar nicht haben. Natürlich schließt das nicht aus, dass er sauer wird, wenn ich ihm den unbegehrten Knochen wieder wegreiße.

„Hat Mondheim das angeordnet?“ fragt er. „Nein, ich habe es angeordnet,“ erwidere ich, nicht ganz der Wahrheit entsprechend. „Aber selbstverständlich ist es mit ihm abgesprochen.“

„Na, dann ist ja alles in Ordnung,“ sagt er und klingt dabei, als müsse er Sumpfsuppe trinken. „Ich hoffe, Jasmund arbeitet mehr zu Ihrer Zufriedenheit.“ „Sie können doch nichts dafür, dass Sie krank geworden sind,“ beeile ich mich zu versichern. „Aber die Arbeit muss nun einmal weitergehen, und überlasten will ich Sie auf keinen Fall.“

Kaum habe ich aufgelegt, tippe ich den Kurzbericht an Mondheim. Einmal über die Betaversion zum Anschauen, ob er die sehen mag, und dann über das Gespräch mit Siebert.

Der Rest des Tages verläuft unaufregend, wenn auch arbeitsreich. Ebenso der Dienstag.

Wieder werde ich um halb acht abgeholt, doch diesmal von Mondheim selbst. Es wird ein unerfreulicher Abend werden, denn man wird mir mitteilen, dass ich wegen eines Verstoßes gegen die Zirkelregeln nicht aufgenommen werden kann. Mondheim will zwar versuchen zu intervenieren. Obwohl ich es nicht für klug halte, wenn er sich meinetwegen angreifbar macht. Genauso habe ich ihm das auch gesagt.


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