Single am Wochenende

15. Februar 2013

Aber genug davon. Ich wollte etwas arbeiten. Bloß weiß ich nicht was. Die Lust auf eine kleine Sklavengeschichte aus dem alten Rom ist mir schon nach dem ersten Hinsehen vergangen. Meine andere Geschichte mit dem Chefredakteur geht mir längst auf die Nerven. Wahrscheinlich gehört sie zu denen, die man anfängt und später aus gutem Grund auf halbem Weg verhungern lässt.

Jetzt einen Sachartikel anzufangen wäre reiner Blödsinn; ich habe nicht die geringste Ahnung, was Deinar so haben will. Um nicht gleich unangenehm aufzufallen, sollte ich wenigstens die erste Redaktionssitzung abwarten. Falls es beim Blättchen so etwas überhaupt gibt.

Meine Wohnung ist tiptop in Schuss, die Wäsche ist erledigt. Bis auf das Bügeln; und dazu habe ich nun wiederum so wenig Lust, da gehe ich lieber schwimmen. Warm genug wäre es; außerdem ist das Hallenbad noch offen.

Ja, klasse – das macht auch Spaß. Mitten in der Woche schwimmen gehen, das hätte schon etwas für sich. Bloß, wenn man es könnte, ist der Reiz dahin. Ich würde mich bloß komisch fühlen unter all den anderen, die nicht zur Arbeit müssen. Sichtbar als nutzlos für die Gesellschaft abgestempelt, ohne das Adelsprädikat sehr beschäftigt. Also, wenn man kann, dann will man nicht, und wenn man will, kann man nicht. Ist doch oft so.

Erst nachher fällt mir ein, es ist nicht mitten in der Woche, sondern Samstag. Ich würde also überhaupt nicht auffallen. Allerdings ist Samstag jedes Schwimmbad so voll, da vergeht mir die Lust daran dann auch wieder.

Nur, was soll ich sonst anstellen? Katrin besuchen und mich von den Zwillingen nerven lassen? Nie im Leben.

Vielleicht einen richtigen Urlaub planen? Nichts Großartiges, Kostspieliges; einfach nur ein paar Tage in einer Pension irgendwo. Nordsee, Ostsee, Bodensee.

Und was wird dann aus meinen Plänen, den SM-Zirkel zu erforschen? Ich muss doch damit rechnen, dass Deinar sich jeden Moment melden kann.

Himmel, so unzufrieden mit mir selbst und meinen Stunden war ich schon lange nicht mehr. Dabei habe ich jetzt nicht einmal einen guten Grund dafür. Letzte Woche, ja, als alles noch in der Schwebe war und der große Wirbelsturm mich umherblies, da hätte ich unzufrieden sein müssen. Allerdings hatte ich da überhaupt keine Zeit, die generelle Einordnung der Geschehnisse vorzunehmen, die Voraussetzung für die Entscheidung ist, ob ich es sein sollte. Unzufrieden, meine ich. Das ist nun einmal so – in einem Wirbelsturm denkt man über nichts anderes nach als das nackte Überleben. Die passenden Gefühle kommen später; wenn die den Atem raubende, den Brustkorb zusammenschnürende, ein enges Eisenband um den Kopf legende Panik abgeklungen ist. Bloß passen die Gefühle dann auch nicht mehr, denn die Gefahr ist ja vorbei.

Die ganzen vergangenen Tage habe ich mir solche Ruhepunkte gewünscht, wie ich jetzt einen genießen könnte. Wäre mir das nicht unmöglich.

Der Mensch ist schon komisch organisiert; meistens läuft alles kreuz und quer statt parallel. Emotionen, die nicht zur Situation passen, Situationen, die den Empfindungen nicht gerecht werden, und ganz generell kommt immer alles genau dann, wenn man es am wenigsten gebrauchen kann. Würde das Schicksal mir meinen Zaubermann direkt ins Haus liefern, es wäre bestimmt zu einem Zeitpunkt, in dem ich alles will, nur keinen Mann.

Warum ruft eigentlich Deinar nicht an? Nicht dass er es versprochen hätte, sich so rasch zu melden. Aber bisher war er immer mehr als zuverlässig und schnell.

Vielleicht sollte ich mich bei ihm melden?

Ja – und ihm schon wieder auf die Nerven gehen; das steigert bestimmt seine gute Laune, falls er welche hat. Natürlich könnte ich mir einen Vorwand ausdenken; mich für den Abend gestern bedanken, entschuldigen, was auch immer. Würde das nicht so ekelhaft nach Hinterherlaufen aussehen. Obwohl, das ist doch Unsinn.

Wenn das so weitergeht, vertrödele ich noch den ganzen Vormittag. Sollte mir gar nichts anderes einfallen, kann ich immer noch versuchen, das Telefon zu hypnotisieren, damit es mir die Entscheidung abnimmt. Unschlüssig schaue ich das Teil an. Mindestens zehn Sekunden lang. Dann drehe ich mich entschlossen um und greife mir doch die Bügelwäsche. Das Bügeleisen dampft vor sich hin, das rote Licht geht aus. Ich greife mir das Teil.

Noch bevor die heiße Metallsohle die Bluse berührt, klingelt der so schmählich im Stich gelassene Apparat.

***

Natürlich, das musste ja so kommen! Ein Anruf, wo ich endlich aufgehört habe, auf eine Unterbrechung meiner unruhigen Langeweile zu warten. Wo meine hausfrauliche Disziplin gewonnen hat und das, was ich soeben herbeisehnte, zur Störung wird.

Fluchend reiße ich den Stecker aus der Steckdose, stelle das Eisen auf den Eisenrost und stürze zum Telefon.

Es ist nicht Deinar; es ist meine Mutter. Sie hat gestern im Büro angerufen, weil sie mir ganz dringend etwas sagen musste, und dabei erfahren, ich bin dort nicht mehr. (Große Frage – warum hat sie mich dann nicht gleich gestern in der Wohnung angerufen? War der Schock so groß, dass sie einen Tag zur Erholung davon brauchte? Verstehe einer die Mütter!)

Nun ist die Kacke am Dampfen. Nicht einmal mit der freudigen Mitteilung, von welcher häuslichen Tätigkeit sie mich gerade weggeholt hat, kann ich die Fragenflut aufhalten. Was denn los ist, warum ich nichts erzählt habe, was denn jetzt werden soll, wieso alles so gekommen ist, ob es denn nicht im alten Job viel besser war (dass ich schon einen neuen habe, beruhigt sie immerhin nicht unwesentlich), wie denn der neue Chef sich benimmt, ob das Gehalt besser ist, und wenn nein, warum nicht, wie das mit meinem Urlaub wird.

Und als letztes kommt die Frage, warum ich meine freien Tage nicht unter ihrer Obhut verbringe. Die ist mir fast am peinlichsten; um die anderen Klippen habe ich mich recht gut herumnavigiert. Aber wie soll man seinen Eltern begreiflich machen, dass man mit Anfang 30 überall anders sein möchte als im Elternhaus? Das wird sie mir auch dann noch nicht glauben, wenn ich 40 oder 50 bin. Nichts gegen meine Eltern. Ich mag sie, sie sind auch ganz brauchbar – aber mein Leben ist meines. Sie sehen mich noch immer als braves Zopfmädchen mit guten Leistungen, das regelmäßig von der Arbeit oder vielmehr Schule nach Hause zurückkommt und seinen Lebensmittelpunkt bei ihnen hat. Wahrscheinlich ist das ganz normal für Eltern. Ebenso wie es normal ist für die Kinder, spätestens sobald sie keine Kinder mehr sind, dagegen allergisch zu sein.

Weit glücklicher, als es eigentlich angebracht wäre – schließlich ist mein neuer Job ein gewaltiger Rückschritt sowohl finanziell, als auch vom Ansehen her, da beißt nun einmal keine Maus einen Faden ab, warum auch immer Mäuse Scherenersatz spielen sollten – legt sie schließlich auf. Ein Beweis für die Überzeugungskraft meiner Worte. Wozu ist man auch Schreiberling.

Eine Sorge weniger. Meinem Vater muss ich nun nichts mehr erklären; das wird alles sie übernehmen.

Noch bevor das Bügeleisen seine Zwei-Punkte-Hitze wiedergewonnen hat, klingelt das Telefon erneut. Verflucht! Es ist, als ob die Telekommunikationsmächte sich zusammengeschlossen haben, um mich von der Arbeit abzuhalten. Nicht, dass mich das sonderlich stört – aber ein bisschen nervig ist es doch.

Diesmal ist es Evelyn; am Boden zerstört, weil ihr neuer Macker sich als genau so ein Arschloch herausgestellt hat wie seine Vorgänger. Wen wundert’s. Immerhin macht ihr das den Weg frei für einen neuen Liebesanfang, und das ist es doch, worum es ihr geht. Da steht also ein tröstendes Abendbesäufnis an, um sie gestärkt in den Neustart zu schicken, der bestimmt nicht lange auf sich warten lassen wird. Ich soll gleich vorbeikommen. Das bedeutet dann das endgültige Aus für meine Bügelbestrebungen.

Kaum habe ich die Bürste durch meine Haare geführt, Schlüssel und Geldbörse gefunden, bin aufbruchsbereit, klingelt es erneut. Katrin erinnert mich an mein Babysitting-Versprechen. Mist, das hatte ich total vergessen!

Was mache ich jetzt? Evelyn braucht mich garantiert nicht weniger als Katrin; und da sie eine bemerkenswert einfache Patientin ist in ihren Verzweiflungsphasen, ist die Verpflichtung ihr gegenüber allemal die angenehmere. Bloß – das wird Katrin nicht im Geringsten interessieren, und nachdem ich sie gestern Abend schon versetzen musste, kann ich unmöglich heute schon wieder absagen.

Ob ich Evelyn überreden kann, mit auf die Zwillinge aufzupassen? Es ist schönes Wetter, Katrin und Jürgen haben einen niedlichen kleinen Garten; einen öffentlichen Park kann man mit den beiden konstant stolpernden und ausreißenden Ungeheuern nicht aufsuchen, es sei denn, man nähme sie an die Leine – und was würden die Leute dazu sagen. So könnte man doch eigentlich einen ganz gemütlichen Nachmittag miteinander verbringen, bis die Eltern vom Freigang zurückkommen, sich die Arbeit teilen.

Also gleich wieder Evelyn anrufen. Sie klingt total entsetzt; ich glaube, sie mag Kinder noch weniger als ich. Dass ich sie versetzen muss, wenn sie nicht mitkommt, davon ist sie allerdings auch nicht sonderlich begeistert. Wir verabreden einen Alleingang meinerseits für zwei Stunden. Falls man mich dann noch immer nicht erlöst hat, damit ich zu Evelyn verschwinden kann, soll ich sie anrufen und sie kommt doch noch vorbei. Kein besonders erfreuliches Ergebnis, aber es hilft ja nichts. Pflicht ist Pflicht

Immerhin hätte ich jetzt noch Zeit für die Bügelwäsche; bei Katrin muss ich erst kurz vor drei auftauchen. Nur habe ich jetzt auch keine Lust mehr und das Bügelbrett längst wieder weggestellt. Was nun?

Warum nicht fernsehen? Irgendeinen schrottigen Film gibt es doch garantiert am Samstag Mittag, der mir hilft, mich abzulenken und die Zeit totzuschlagen. Kaum bin ich bei meinem suchenden Herumklicken auf dem dritten möglichen oder vielmehr ebenfalls unmöglichen Kanal angekommen, was passiert? Richtig, das Telefon klingelt. Manchmal fragt man sich schon, ob es abgestellt wurde, weil tagelang kein Schwein anruft, und dann melden sich alle auf einmal. Meine Mutter hatte vergessen, das mit dem Geburtstag der Nachbarin festzuklopfen. Ich soll da morgen mit zur Feier auftauchen. Die Frau ist nett, wir grüßen uns auch immer – aber warum, zum Teufel, sollte ich auf ihrem Geburtstag erscheinen? Soll meine Mutter doch meinen Vater mitnehmen. Bloß, der geht natürlich nicht, und nun soll ich als Begleitung herhalten. Was für ein Glück, dass morgen schon Martina bei mir auftauchen wird – meine Ausrede ist perfekt.

Natürlich fängt meine Mutter noch einmal vom neuen Job an und seufzt und jammert ein bisschen; als sei sie es, die die Schlappe verkraften muss. Klar – ist ja auch schlimmer, den Klatsch der Nachbarn über den beruflichen Abstieg der schreibenden Tochter auszuhalten als den Abstieg selbst. Womöglich glaubt sie das tatsächlich.

Das Gespräch hat mich immerhin an ein weiteres Versäumnis meinerseits erinnert; ich habe keinen Kuchen im Haus. Wenn jemand zum Kaffee vorbeikommt, muss es Kuchen dazu geben. Hat mir meine Mutter beigebracht. Wie bin ich nur auf die Schnapsidee gekommen, heute Morgen so mühsam zu überlegen, was ich mit meiner Zeit anfangen soll, wo ich doch soviel zu tun habe?

In aller Eile stürze ich nach draußen. Die zwei Bäcker in der Nähe haben schon dicht. Dem Himmel sei Dank für die Bäckerabteilungen der Supermärkte. Die Linzertorte dort ist auch nicht schlecht. Martina isst ohnehin nicht viel, schon gar nicht von Süßkram – sie achtet auf ihre schlanke Linie. Nicht unbedingt, um ihre erotische Attraktivität zu erhöhen, sondern aus Karrieregründen. Schlanke Mitarbeiter wirken leistungsstärker und werden meistens bevorzugt, hat sie mir oft erklärt. Na, mir hat meine wirklich schlanke Linie bislang nicht weitergeholfen. Vielleicht muss man erst einmal in bestimmte höhere Kreise vorstoßen, um in den Genuss dieser Folge zu kommen. Andererseits, warum gibt es dann so viele hässliche, fette Manager? Gilt das mit der guten Figur etwa nur für Frauen? Mehr arbeiten, besser aussehen, intelligenter sein und schöner – und trotzdem weniger Gehalt? Das wäre doch glatt schon wieder ein klasse Thema für einen Artikel. Muss ich mal Deinar fragen, ob er damit einverstanden ist.

Apropos: Der sucht seine Mitarbeiter bestimmt nicht nach Aussehen aus, und auch nicht nach Geschlecht. Jedenfalls vermute ich das. Ein paar anständige Vorgesetzte muss es ja schließlich auch geben, und ich hoffe, einen davon habe ich jetzt erwischt.

Noch ein bisschen Getrödel, und schon ist es soweit. Die Zwillinge sind bereits im Garten, aber sie beachten mich nicht. Was mir keineswegs Ruhe verschafft. So gemütlich, wie ich mir das vorgestellt hatte, wird der Nachmittag natürlich bei weitem nicht. Wären es nicht gleich zwei, die abwechselnd im kleinen Fischteich verschwinden, das Katzenfutter vertilgen, Blumen ausrupfen und Erde umgraben wollen, es ließe sich alles noch einigermaßen entspannt machen. So jedoch bin ich konstant in Bewegung, mit Katastrophenverhinderung beschäftigt und völlig außer Puste bis fünf Uhr. Von Katrin und Jürgen ist weit und breit noch nichts zu sehen. Dabei wollten sie eigentlich nur mal eben für ein Stündchen … Was auch immer. Einkaufen, einen Quickie im Auto oder im Wald genießen, oder einfach nur eine Weile dem infernalischen Lärm zweier unschuldiger Rosenmünder entkommen.

Evelyn will sich die illustre Gesellschaft noch immer nicht antun, teilt sie mir mit, als ich sie per Handy befrage. Und, ach ja, einer ihrer Kollegen hat gerade angerufen, es kann sein, sie ist abends gar nicht zu Hause. Also wenn ich nicht bald komme, heißt das mit anderen Worten, verpasse ich sie an diesem Tag vollständig. Kein Problem – ich wollte schließlich nichts von ihr (bis auf die Hilfe beim Kinderhüten, die sie sowieso abgelehnt hat), und ihre Trostbedarfsphase scheint bereits wieder beendet zu sein. Es sei denn, der Kollege, dem sie den Abend versprochen hat, ist wirklich nur das, ein Kollege nämlich. Was mich bei Evelyn sehr überraschen würde. Sie hat zwar ein bemerkenswertes Talent, alte und potentielle neue Liebhaber für rein freundschaftliche gemeinsame Unternehmungen an sich zu binden. Da ist ihr Ex von vor drei Jahren, mit dem sie noch immer ab und zu ins Theater geht, da ist ein anderer neueren Datums, der sie jeden Monat mindestens einmal zum Essen ausführt, und so weiter. Sie wissen, was ich meine. Aber wie gesagt – es sind alles Liebhaber; gewesene oder zukünftige. Jedenfalls behauptet sie das. Und da dieser Kollege bislang noch nicht dran war, kann es sich höchstens um das nächste Projekt handeln. Oder sie überrascht sich selbst und mich mit einer neuen platonischen Beziehung.

Wie auch immer – ein wenig im Stich gelassen fühle ich mich von ihr schon. Erst behauptet sie, sie brauche mich zum Ausheulen, aber wenn sie das dann mit einer kleinen Aufgabe verbinden müsste, mit der sie mir einen Riesengefallen täte, verzichtet sie lieber ganz darauf. Dabei wäre der Nachmittag mit ihr zusammen bestimmt nicht einmal halb so anstrengend geworden. Geteilte Arbeit, halbe Arbeit – oder so ähnlich. Na, dann eben nicht. Jedenfalls soll sie aber nicht glauben, dass sie mich dann morgen belabern kann mit ihrer neuesten Eroberung; falls es eine wird.

Um Viertel vor sechs tauchen endlich die Eltern der lebhaften Knöpflein wieder auf. Fidel, munter, gut erholt. Das krasse Gegenteil zu mir. Die Zwillinge begrüßen beide freudenheulend. Die Aufforderung, noch zum Abendessen zu bleiben, als Entschädigung, lehne ich dankend ab. Dann langweile ich mich lieber allein zu Hause.

Was für eine unerträgliche Scheiße, diese Wochenendabende als Single. Nichts zu tun, und immer die Vorstellung im Kopf, alle anderen würden gerade unheimlich tolle Stunden verleben. Was ja Quatsch ist; ich bin sicher, bei einigen Paaren passiert nicht mehr als bei mir auch – fernsehen. Vielleicht streitet man sich ein bisschen, und sehnt sich ansonsten nach seinen Junggesellenzeiten zurück. Man will ja immer das, was man nicht hat; und das, was man hat, erst dann (wieder), wenn es weg ist.

Ich könnte vielleicht ein bisschen im Internet stöbern. Eine Anzeige aufgeben; oder auf eine antworten. Habe ich schon ewig nicht mehr gemacht. Falls ich das vor acht auf die Reihe kriege, habe ich womöglich gar noch für denselben Abend eine Begleitung zusammen. Für eine SM-Party, einen Kaffee, oder eine schnelle Nummer mit Halsband. Bloß ist mir nach alledem überhaupt nicht. Und schon das Studium der ersten fünf Anzeigen von devoten Männern auf der Suche nach dominanten Frauen verdirbt mir den Spaß vollends. Die Texte der Doms sind allerdings kaum besser.

Das heißt, ich muss fair bleiben – eine Anzeige ist dabei, die klingt richtig gut. „In der Liebe dominanter Mann ist auf der Suche nach der Partnerin fürs Leben, die die erotische Unterordnung nicht auf das gesamte gemeinsame Leben überträgt und die Hingabe nicht als Synonym für anspruchsvolle Bequemlichkeit versteht.“ Gefällt mir, der Text. Besonders natürlich die Erwähnung des Wortes Liebe; aber der Rest auch. Das klingt nach genau dem, was ich auch suche; nur stimmt die Rollenverteilung nicht mit der des Geschlechts überein.

Ob ich ihm trotzdem schreibe? Nicht, dass ich etwas mit ihm anfangen will; aber wer so vernünftige Texte formuliert, der hat zumindest ein Kompliment verdient. Ist ja selten genug. Und wenn die Gerüchte stimmen, kriegen Männer meistens keine Antworten oder nur professionelle Angebote und Fake-Zuschriften von anderen Männern. Das ist mit Sicherheit übertrieben; aber die Überflutung mit heillosem Schwachsinn, Dummheit und Geilheit trifft wohl tatsächlich vorwiegend die Frauen. Da kann ich dem Absender gewiss eine kleine Freude machen, wenn ich meiner über seine Worte Ausdruck verleihe.

Und jetzt schreibe ich das Mail schnell, bevor ich es mir anders überlege.

Zurück zum Fernseher. Das Telefon klingelt jetzt, wo ich es brauchen könnte, natürlich nicht mehr. So liege ich um zehn im Bett, ärgere mich über alles, und kann nicht schlafen. Hoffentlich wird der Tag morgen besser!

***

Anfangen tut er jedenfalls gut, der Sonn-tag, wenn auch völlig ohne Sonne.

Der interessante Dom hat geantwortet, sehr höflich, und sich für meine netten Worte bedankt. Entweder weil ich die nicht passende Rollenverteilung unmissverständlich angedeutet habe, oder vielleicht auch weil er einfach ein intelligenter Mensch ist fehlt, seiner Antwort die ganze Kasernenhofanmache, die angeblich bei Doms so typisch ist. So von wegen, mein Schwanz ist erigiert 50 cm lang, ich werde dein Leben völlig verändern, und jetzt schreib mir, sonst komme ich rüber. Um den live Kontakt zu so einem Arschloch zu vermeiden, würde ich Dutzende von Mails schreiben. Fragt sich nur, ob ihm der Inhalt gefiele. Ich selbst habe mit dieser Art Mails keine Erfahrung. Wobei die von angeblich hingebungsvoll-anbetenden Devlingen oft genug auch nicht besser sind. Die haben manchmal einen Befehlston am Leib, den sie sich von niemandem gefallen lassen würden, nicht einmal von einer Domina. Die Hingabe betreiben sie dann mehr als wichsbegleitenden Freizeitsport zur allgemeinen Erholung und Entspannung. Oder Erheiterung.

Weil ich gerade in Stimmung bin, schreibe ich noch einmal zurück. Nur kurz, nur ein Dank für den Dank; nicht dass er nachher noch denkt, ich wollte doch etwas von ihm.

Aus purer Langeweile studiere ich die neu hinzugekommenen Kontaktanzeigen; sind erstaunlich viele, wenn man bedenkt, wie spät abends ich am Tag zuvor das letzte Mal dort war, so rein zahlenmäßig betrachtet, selbst in meinem Postleitzahlenbereich. Bloß, letztendlich ist trotzdem verteufelt wenig los. Zumindest, wenn man sich das Zeug nicht absolut anspruchslos, blind und taub zu Gemüte führt. Es gibt schon einiges an Sklavenwürmern, knierutschenden (Tauge-)Nichtsen und ergebenen Dienern, aber irgendwie klingt alles so ausgelutscht und lahm. Und die Doms sind alle erfahren, reif (alt?), attraktiv, tageslichttauglich, und überhaupt der letzte Schrei an dominantem Material für die sehnsuchtsvolle unterwürfige Frau. Überdies stehen sie ebenso mit beiden Beinen fest im Leben wie ihre Gegenspieler. Was soll das eigentlich heißen, mit beiden Beinen fest im Leben stehen? Noch nicht scheintot? Beruflich erfolg-reich? Oder einfach nur – reich?

Zeit fürs Frühstück.

Bevor ich endlich versuche, mit meinem Computerspiel weiterzukommen, irgendeinem Myst-Nachfolger, bei dem ich partout nicht verstehe, was das alles soll, sehe ich noch einmal kurz nach meinen Mails. Und richtig, er hat wieder geantwortet. Entweder hat er nichts Besseres zu tun, oder mein virtuelles Wesen gefällt ihm tatsächlich, wie er schreibt. Na gut – wenn ihm nach Kommunikation ist, dann aber gleich in die vollen. Ich frage ihn, was er um diese Zeit vor dem PC zu suchen hat. Die Antwort könnte von mir stammen und lässt mich schmunzeln. Er erwartet nachmittags Besuch und schwankt jetzt zwischen Langeweile und der Disziplin für die Dinge, die er dringend noch vorher erledigen sollte, und hat sich deshalb erst einmal an den Rechner verzogen.

Mein Vorschlag ist, dass wir uns beide zunächst umgehend ganz diszipliniert an unsere Pflichten begeben und uns danach noch einmal wiedertreffen. „Einverstanden – ich freue mich auf nachher!“ erwidert er.


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