Umzug
Heute möchte ich gar nicht aufstehen, sondern einfach unter der Decke bleiben, nichts zu tun haben mit den kistenmäßigen Umwälzungen, die mir bevorstehen. Mit der Überbeanspruchung sämtlicher Muskeln, Sehnen und Gelenke, die mir als Ergebnis des Tages bevorsteht. Und dabei ist es erst Morgen. Nicht einmal richtig Morgen; nachtschlafende Zeit wäre die bessere Bezeichnung.
Aber da ist ja noch etwas anderes. Meine Raubkatze wird heute aus dem engen Käfig dieser Miniwohnung befreit; wir werden endlich Platz haben. Wie soll ich mich darauf nicht freuen? Also raus aus den Federn, Ärmel hochkrempeln und los!
Mondheim zwingt mich dazu zu frühstücken; mit ungeduldig trommelnden Fingern gibt er nicht nach, bevor ich nicht einen halben Toast mühsam runtergewürgt habe. Vielleicht keine schlechte Idee, aber solche Gehorsamsübungen am frühen Morgen sind sonst nicht so mein Ding.
Er wird nur beim Einladen meiner Sachen anwesend sein – das mit seinen wird später natürlich die Hoffmann übernehmen -, muss danach weg und weiß noch nicht, wann er in unserem neuen Heim eintreffen wird. So ganz wohl ist ihm nicht dabei, mich im Stich zu lassen. Vergeblich versuche ich ihn zu überzeugen, dass ich mir gar nicht im Stich gelassen vorkomme. Sein Versprechen einer ganz speziellen Belohnung für mich nehme ich dennoch gerne entgegen.
Wie soll ich die nächsten Stunden beschreiben? Wie schildert man das ununterbrochene Treppauf, Treppab, die Organisation eines kleinen Imbisses mitten im schlimmsten Chaos, die Angst, etwas könne den Umzug nicht heile überstehen, den Horror vor der Reinigung der alten Wohnung, in der sämtliche Staubflusen aus ihren jahrealten Löchern gekrochen kommen, das Entsetzen angesichts der bevorstehenden Einräumarbeit, bevor auch nur halbwegs normale Verhältnisse wieder einkehren? Sie sind doch selbst auch schon umgezogen, oder? Also. Dann brauche ich ja nicht viel zu sagen.
Mittendrin taucht Evelyn auf, die ich am Abend zuvor noch schnell von der unwesentlichen Veränderung meines Aufenthaltsortes in Kenntnis gesetzt habe. Sie ist mehr Nervensäge als Hilfe, und vor allem kommt sie gar nicht von ihren Überlegungen los, ob sie sich mit Sahm auf dasselbe Abenteuer einlassen soll. Na, bietet sich ja an, bei dem Anlass.
Immerhin unterstützt sie mich bei meiner Schrubberei im alten Heim, während die Hoffmann die Aufsicht in der neuen Wohnung übernimmt, nachdem dort erst einmal alles abgeladen ist. Natürlich könnte ich das Saubermachen auf später verschieben; aber ich will diesen Teil endgültig hinter mir haben und heute noch den Schlüssel abgeben. Auf Nimmerwiedersehen, ihr fünf Jahre, die ich hier verbracht habe. Nun verschwindet auch der stumme Chronist dieser Zeit im Nebel der Vergangenheit. Ach, ich fühle mich richtig poetisch.
Es ist schon nach zwölf, als ich mich von meinem Vermieter verabschiede. Er ist ausgesprochen nett. Na, ich war ja auch immer eine brave Mieterin. Vielleicht manchmal ein bisschen laut, aber bezahlt habe ich immer prompt, und das ist ja wohl für einen Vermieter das Wichtigste.
In der Zwischenzeit hat die Hoffmann schon für mehr klar Schiff gesorgt, als ich für den gesamten Tag habe erhoffen können. Noch bevor ich mich an meine Kisten begeben kann, die sie wohlweislich nicht angerührt hat, taucht Hefner auf, von Mondheim abgeordnet, den ganzen Technikkram zu übernehmen. Ich glaube zwar nicht, dass wir heute Abend Fernsehen oder am Computer spielen, aber ich bin schon ausgesprochen dankbar, dass er sich darum kümmert.
Mit Teppichen übrigens habe ich mich geirrt; die brauchen wir nicht. Es ist nicht nur der wunderschöne aus seinem Arbeitszimmer da, sondern da sind auch noch zwei andere, die mir fast noch besser gefallen. Welchen Raum des Hauses er wohl dafür geplündert hat? Zwei Zimmer sind auch danach noch unbeteppicht, aber was wir mit denen anfangen, wissen wir sowieso noch nicht. Eines wird wahrscheinlich zum Gästezimmer umfunktioniert, und das fehlt ja noch vollständig.
Um zwei erscheint der weibliche Teil des trauten Pärchens, das mit der Mondheim aus Südfrankreich zurückgekehrt ist, mit einer riesigen Tasche, in deren Öffnung ich das typische Plastik irgendwelcher Reiniger erkenne. Wie recht sie damit hat, sich nicht auf meine hausfrauliche Vorsorge verlassen zu haben. Ich sehe sie nur kurz beim Hereinlassen und bemerke auch später nicht mehr von ihr außer den Ergebnissen ihrer Arbeit, die sich ernsthaft sehen lassen können. Sie scheint es gewohnt zu sein, nicht viel zu reden, sondern lieber anzufassen, was anliegt; unter anderem jede Menge Spinnweben und Staub in jeder Ecke und eklige Ränder in den Klos. Wahrscheinlich hat die Mondheim ihr beigebracht, so still zu sein.
Mitten in das allgemeine Durcheinander platzt dann völlig unerwartet noch der Mensch mit dem Telefonanschluss. Auch recht – sind wir wenigstens nicht von der Welt abgeschnitten.
Ich weiß nicht, wo mir der Kopf steht, und wage es nicht, mich auch nur eine Minute hinzusetzen. Wer weiß, wem es gelingt, mich wieder aus dem Tiefschlaf zu holen, der die notwendige Folge wäre.
Die Wände wollte ich eigentlich noch unberührt lassen, aber schon hat die Hoffmann persönlich Joachims Bild über meinem Schlafsofa im Wohnzimmer aufgehängt. Meinetwegen; genau da sollte es auch hin. Immerhin darf ich ganz allein aussuchen, wo ich meine Unterwäsche hinräume.
Nur mein Kleid für den Sonntag, über das ich die ganze Zeit eifersüchtig gewacht habe, hat sie vom Bett mit der noch unbezogenen Matratze genommen und an den Schrank gehängt. Bettwäsche – Himmel! Davon brauchen wir eindeutig neue. Jede Menge.
Eine Expresslieferung lässt mich meine T-Shirts uneingeräumt verlassen. Ein riesiges Teil ist es, was da angeliefert wird. Schon als ich den Absender lese, ahne ich, welch wunderbare Überraschung sich unter der gigantischen Verpackung verbirgt. Dieses Bild von Mondheims Bruder wird aber erst später aufgehängt. Jetzt kommt es erst einmal in eine Ecke, in der ihm nichts passieren kann. Unausgepackt; das ganze Papier will ich erst später entfernen, zusammen mit Mondheim.
Der nun endlich auch eintrifft; mit einem weiteren Paket. Ebenso flach und viereckig wie das von Joachim. Er wehrt mich ab und grinst nur, als ich mich darauf stürzen will. „Du verschwindest jetzt mal eine Weile in der Küche und lässt dir von der Hoffmann etwas zu essen machen,“ ordert er. „Ich kümmere mich in der Zeit um einen passenden Platz. „Ach – und ich darf nicht mit aussuchen?“ gifte ich. Er schüttelt den Kopf. „Nein. Den Rest machen wir gemeinsam, aber den Platz hierfür bestimme ich ganz allein.“
Ich neige den Kopf. „Ich füge mich, mein Gebieter.“ „Das möchte ich dir auch geraten haben!“ droht er.
Ach, wie wunderschön es ist, das Leben mit ihm zu teilen.
Es dauert eine Weile, und ich habe mich zögernd an einem Käsebrot vergriffen, während Evelyn ohne Probleme zwei von der Sorte vertilgt, bis ich die Hammerschläge höre. Also ein Pedant, mein geliebter Daniel. Einer, der Bilder mit Lineal und Wasserwaage aufhängt; sonst hätte es nicht solange gedauert. Ich fürchte, meine unbekümmert angepinnten Poster werden hier in das Gästezimmer verbannt.
Schon ruft er mich, und Evelyn kommt natürlich mit.
Bis fast zur Haustür führt er mich, neben der eine Garderobe steht, die ich nicht kenne. Obwohl es mich eigentlich nicht wundern sollte, dass er mit mehr Möbeln anrückt, als ich sie in seinem kleinen Reich vorgefunden habe.
Direkt gegenüber hängt das Bild an der Wand; so, dass es jedem Besucher gleich ins Auge springen muss. Erst sehe ich nur den schwarzen Rahmen, aber beim Näherkommen erschließt sich mir langsam der Inhalt.
Ich könnte sterben vor Verlegenheit. Es ist eine der Aufnahmen, die er an diesem ersten Tag in seinem Haus gemacht hat, in fast voller Lebensgröße. Zum Glück ist es eine aus der Anfangssequenz; ich trage das Kleid noch, nur die Schultern sind frei, und einen allerersten Ansatz meiner Brust kann man sehen. Obwohl es überdeutlich ist, was ich gerade im Begriff bin zu tun.
Evelyn grinst sich einen. „Gut geworden,“ bemerkt sie fachmännisch. „Eine schöne Arbeit – Raimund wäre bestimmt begeistert.“
In meine Verlegenheit mischen sich die ersten Tropfen Freude, die sich ausbreiten, wachsen, nach oben drängen, Kohlensäurebläschen gleich, die Unsicherheit zum Platzen bringen und nur überschäumende Wärme zurücklassen.
Mein Umarmungsangriff bringt Mondheim aus dem Gleichgewicht; allerdings nicht lange. Sofort nutzt er die Gelegenheit, eben jene Stellen zu berühren, die auf dem Bild noch so schön verdeckt sind, während Evelyn taktvoll wegsieht. „Wenn der ganze Haufen weg ist,“ flüstert er mir ins Ohr, „möchte ich genau das zu sehen bekommen; und noch ein bisschen mehr.“
„Ihr Wunsch ist mir Befehl, mein Gebieter,“ flüstere ich zurück und komme mir nicht einmal kitschig dabei vor.
***
Endlich sind alle gegangen; weit später, als ich das geschätzt hätte. Schon nach acht ist es, bevor wir endlich allein sind. Immerhin mit der erhebenden Gewissheit, dass wir uns in einer schon fast vollständig bewohnbaren Umgebung aufhalten.
Nahezu mit Gewalt schleppt Mondheim mich erst einmal ins Bad, das nach Putzmitteln riecht. Handtücher hängen schon; die blauen, die ich bereits kenne, und von denen es noch jede Menge gibt, wie ich gesehen habe. Darum brauche ich mich bereits nicht mehr zu kümmern. Auch der Engpass bei der Bettwäsche ist längst nicht so gravierend wie befürchtet. An das reine Weiß habe ich mich ja schon fast gewöhnt.
Ganz unerwarteter Luxus: Hier gibt es sowohl Badewanne als auch Duschkabine. Alles zwar sichtbar alt, und die Einhebelmischer werde ich schwer vermissen, aber dafür gibt es wenigstens Platz. Viel Platz.
Auf dem kleinen Schränkchen aus meiner alten Wohnung, in der meine ganzen Reservetoilettensachen lagern, nun vermischt mit seinen, weil meine Handtücher einen anderen Platz gefunden haben und füllbare Leere hinterließen, steht eine Blume, ein kleiner Farn. Der stammt von der Hoffmann. Dafür hat sie einen Kuss auf die Wange abgestaubt, der sie sichtlich aus der Fassung gebracht hat.
Mein Badegel ist aus unerfindlichen Gründen verschwunden, und so ist es sein Duschschaum, der sich mit seinem Duft darum bemüht, gegen Meister Proper anzukommen.
Ich werde richtig verwöhnt, mit Einseifen an allen Stellen; auch unter Wasser, wo es eigentlich gar nichts ausrichten kann, außer dass sich der Feuchtigkeitsgehalt in der Wanne geringfügig erhöht. Ich bin so k.o, ich könnte auf der Stelle einschlafen, und alles tut mir weh. Aber es gibt gewisse Dinge, die dringen doch durch den Schleier der Müdigkeit hindurch.
Während ich mich noch einmal genussvoll zurücklehne, duscht Mondheim schnell. Praktisch, dass wir beide gleichzeitig eine gewisse Säuberung erreichen können. Wobei das ja durchaus in nur einem von beiden zur Auswahl stehenden Umfassungen ebenfalls möglich wäre.
Danach muss ich mich nicht einmal ums Eincremen selbst kümmern. Wobei, es gibt gewisse Bereiche, da gehört ja nun wirklich keine Creme hin! Belohnung hin oder her.
Natürlich ist eine Flasche Sekt kaltgestellt, aber irgendwie haben wir beide gar keine Lust darauf, und so wird es dann Altbier (das war das zweite, was er neben dem Bild mitgebracht hat; gleich einen ganzen Kasten davon), mit dem wir auf unsere neue Behausung anstoßen. Grübingen würde Zustände kriegen. Der hätte allerdings auch nicht den Mittelklassesekt genommen, den ich vorbereitet hatte.
Irgendwie kann es gar nicht fassen. Wir haben es getan, wir haben es tatsächlich getan!
„Sag mal, wie lange kennen wir uns jetzt eigentlich, Anne?“ sinniert Mondheim, und vor Lachen pruste ich einen ganzen Schluck dunklen Hopfens über den gesamten Tisch. „Anderthalb Monate?“ schlage ich vor. Er nimmt sich den neuen Küchenlappen, den die Hoffmann hinterlassen hat, und beseitigt die Schweinerei.
„Könnte sein,“ überlegt er. „Bist du eigentlich immer so schnell entschlossen?“
„In allen wichtigen Angelegenheiten schon,“ antworte ich. „Ähnlich wie du.“
Ich bin so high, von der überwältigenden Gewissheit seiner Anwesenheit noch mehr als von dem bisschen Bier, dass ich trotz aller Erschöpfung nicht die geringste Lust habe, schlafen zu gehen. Mondheim mit seinen vorwitzigen Fingern und Lippen ist daran nicht ganz unschuldig.
Nach irgendwelchen großen Anstrengungen ist uns allerdings beiden nicht, und so genießen wir einfach nur ganz ruhige, ganz sanfte, ganz wunderschöne Blümchen.
Der nächste Tag bringt meine Mutter; fast eine Stunde früher als geplant. Sie muss mitten in der Nacht losgefahren sein. Zum Glück sind wir sowohl schon auf, als auch vollständig bekleidet.
Nachdem sie vor der Tür steht, scheint meine Wegbeschreibung doch nicht so schlecht gewesen zu sein, wie Mondheim nach dem Telefonat gestern Abend behauptet hat.
Die erste Vorstellung fällt sehr kurz aus, erst einmal muss Mondheim ihr helfen, die ganzen Pakete hereinzutragen, die sie nach und nach aus ihrem Kofferraum holt wie der Weihnachtsmann die Geschenke aus dem Sack. Mein Amüsement über den Anblick eines anzugtragenden Businessmannes mit Schlips und Kragen beim Transport unzähliger Kartons, die ganze Zeit unterhalten von meiner Mutter, die ihm den gesamten Inhalt aufzählt, hilft mir, meine furchtbare Verlegenheit zu überwinden.
Wir frühstücken gemeinsam. Dabei setzt Mondheim sich das erste Mal durch, indem er sie und mich auf die Eckbank verbannt und sich selbst um alles kümmert. Damit wir alle gleich wissen, wer hier der Herr im Haus ist, der praktischerweise auch in der Küche zurechtkommt.
„Trinkst du immer noch dieses Zeug?“ fragt meine Mutter entsetzt, als er mir Zucker und Sahne für meinen Tee hinstellt. Sie nimmt natürlich Kaffee; das gehört sich einfach so für morgens. Ich mag die Brühe ja lieber nur mal zwischendurch.
Auch Mondheim trinkt morgens Kaffee, wie ich inzwischen weiß. Schön, dann müssen eben zwei Maschinen arbeiten; tut ja nicht weh.
Zu meiner Überraschung gießt er sich nun aber doch Tee ein und greift sich die beiden Döschen. Ja – selbst ich bin nicht so stillos, Zucker und Sahne in der Originalverpackung auf den Tisch zu stellen.
Meine Mutter, die gerade zu einem Vortrag ansetzen wollte, wie viele nutzlose Kalorien ich mit meinem bevorzugten Gebräu aufnehme, verstummt jäh. Ich könnte mich kringeln.
Allerdings fängt sie sich bald wieder. Immerhin beschränkt sie sich nun auf unverfängliche Dinge wie Fragen nach der Wohnungsgröße und so weiter, die ihr weitgehend Mondheim beantwortet.
Er ist als erstes fertig mit Frühstücken. Das ist wieder mal typisch – mich zum Essen zwingen, und selbst kaum etwas runterbringen. Mir kommt es beinahe sogar so vor, als habe er ein, zwei Kilo abgenommen durch den Stress in der letzten Zeit. Da muss ich aufpassen, sonst steigt mir die Hoffmann aufs Dach.
„Sie bleiben doch bis morgen, Frau Senreis?“ fragt Mondheim meine Mutter, als sei das nicht längst schon abgesprochen. „Als kleinen Dank für Ihre große Mühe wollte ich Sie heute Abend nämlich zum Essen ausführen.“
Sie wird ein bisschen rot. Kein Wunder – wenn Mondheim den Charmeur auspackt, kann auch meine Mutter nicht widerstehen. Obwohl kaum damit zu rechnen ist, dass sie ihn mag. Oder gibt es auch Mütter, die die Freundinnen und Freunde ihrer Kinder ohne Aufstand einfach gut leiden können?
Ich zeige ihr noch schnell alles, dann lasse ich sie mit der ganzen Arbeit allein, die noch zu erledigen ist. Ein schlechtes Gewissen habe ich ja schon, aber ich habe diese Woche schon so viele Arbeitsstunden versäumt, ich kann unmöglich heute wieder fehlen. Mondheim hätte zwar gar nichts dagegen, wie er mir wortreich erklärt hat. Aber auch wenn es meinen Chef nicht stört, mich würde es stören, und damit basta.
Leider kann ich damit rechnen, dass meine Mutter vor nichts halt machen wird. Heute Abend weiß sie wahrscheinlich besser über den Inhalt unserer Schränke Bescheid als ich.
Unsere Schränke – ja, das sind sie jetzt. Ein merkwürdiges Gefühl.
In Windeseile haste ich durch die Routinearbeiten, die nun beinahe jeden Tag umfangreicher werden. Mails beantworten, zurückrufen bei den Leuten, über deren vergebliche Anrufe mich ein kleines purpurfarbenes Zettelchen informiert, neue oder endgültig korrigierte Artikel einfügen, eine neue Fassung des Kontaktmarktes uploaden beziehungsweise Jasmund dabei zusehen, der mich natürlich nicht selbst an die Datenbank lässt. Wenn ich mir sein Gefluche dabei anhöre, dränge ich mich da auch lieber nicht rein. Und dann hat Jasmund noch eine Überraschung für mich, die erste Fassung des anderen Anzeigenmarktes. Im Laufe der nächsten Stunde kommt er noch einmal vorbei, damit wir alles durchgehen können.
Als nächstes macht er sich dann an die Community. Kein Portal ohne Community, so will mir scheinen. Und wenn ich Foren, Chats und das ganze Gedöns noch so sehr hasse – wenn die Leser sie brauchen, müssen sie nun einmal her. Der Meinung ist jedenfalls Mondheim, und der Meinung bin deshalb, widerwillig, auch ich.
Das heißt wieder einmal umfängliche Konzeptionsarbeit. Allerdings hat Jasmund mich hier erst einmal gebremst. Es gibt wohl einiges fertig oder halbfertig, was solche ekelhaften Ausmotzplattformen betrifft, da will er zunächst einmal schauen. Erst wenn wir uns dann für etwas entschieden haben geht es ans Ausgestalten. Mit ihm macht es immer mehr Spaß zusammenzuarbeiten.
Ein Problem habe ich – unsere Kontaktanzeigen stehen jetzt außerhalb. Hätte ich besser geplant, wären die natürlich mit in die Community gepackt worden. Allerdings widerstrebt es mir, jetzt alles umzuschmeißen. Vielleicht machen wir es einfach so, dass wir bei der Community nicht nur mit Registrierungspflicht arbeiten – mit vollem Namen natürlich; die Anonymlinge kommen mir nicht ins Haus, und wenn uns das auch Leute verscheucht, sorgt es vielleicht wenigstens auch für ein bisschen mehr Qualität -, sondern wir schaffen innerhalb dieses Registrierungsbereichs zusätzlich eine Adultecke mit Altersverifikation. Da können wir dann nicht nur deutlichere Bilder und Geschichten bringen (ich habe da inzwischen einiges, was mir bei aller Kunst doch jugendschutzrechtlich etwas arg kritisch erscheint, und schließlich bin ich ja durch Gastner umfassend aufgeklärt), sondern auch Kontaktanzeigen mit eindeutigeren Texten, und mit Bildern. Wer dort allerdings Schwanz- statt Passbilder einstellt, der fliegt sofort raus. Muss ich nur sehen, wie ich das in den AGB verankere, die ich Gastner wieder druckfertig zur Überprüfung liefern muss.
Himmel, wie soll ich das bloß alles schaffen bis Ende August? Ich ersticke in Arbeit; und dabei habe ich all das noch gar nicht berücksichtigt, was sich erst im Laufe der Zeit erschließen wird.
Der virtuelle Workshop zu Bondage ist auch beinahe fertig. Leider konnte ich Grimme nicht dafür gewinnen, aber ein paar Bilder von ihm gibt es doch als augenerfreuende Dekoration. Schließlich muss man ja mit großen Namen glänzen. Und welcher Name ist in der Szene schon größer als der der Schlagzeilen und des Namensgebers der entsprechenden KG.
Da ich von Bondage nur wenig verstehe – mir war Zweckmäßigkeit immer wichtiger als Knotkunst, wo ich eine Fixierung brauchte -, bin ich etwas unsicher im Hinblick auf die Aussagen dort. Muss ich nachher mal Mondheim fragen, ob er jemanden kennt, den ich das überprüfen lassen kann.
Klasse aussehen tut das Ergebnis oft ja schon, das muss ich zugeben. Vor allem dieses rautenförmige Muster gefallen mir. Wobei die Rauten gar keine sind, wie ich inzwischen gelernt habe, sondern Diamanten oder auch japanisch Hishi. Meinetwegen. Bloß weil ich dem Kind einen komplizierten Namen gebe, bleibt es doch immer noch eine Landplage.
Mitten in meine hektischen Überlegungen hinein platzt Jakob mit einem Anruf. Er gratuliert zur gemeinsamen Wohnung – wie schnell sich doch manche Neuigkeiten verbreiten – und will wissen, ob es noch irgendetwas gibt, das ich ihm sagen oder ihn fragen möchte. Ich verneine.
„Anne, das ist kein Test,“ drängt er. „Sie müssen jetzt nicht antworten, als wollte ich Ihre Loyalität gegenüber Mondheim überprüfen; von der bin ich inzwischen überzeugt. Aber es gibt doch Dinge, die man vielleicht lieber mit Außenstehenden bespricht.“
Ich werde das Gefühl nicht los, dass Jakob etwas bezweckt. Nur habe ich nicht die geringste Ahnung, in welche Richtung das geht. Noch dreimal erkläre ich ihm, dass es in meinen Augen nichts zu besprechen gibt, erst dann bin ich ihn wieder los.
Sofort rufe ich Mondheim an; vielleicht kann er mir erklären, was das sollte. Er schweigt solange, dass selbst mir klar wird, irgendein Fettnäpfchen habe ich soeben umgestoßen und die Sauce droht, mir über die Füße zu fließen.
„Anne, dieser Teil des Gespräch jetzt hat nie stattgefunden,“ sagt Mondheim laut und deutlich, als spreche er mit einem Erstklässler.
Endlich geht mir ein Licht auf. Nein, Jakob wollte nicht meine Loyalität für Mondheim testen, sondern meine Verschwiegenheit Mondheim gegenüber in Bezug auf die Belange des Zirkels.
Meine Güte, es wäre wirklich einfacher, würden die Herrschaften einen guten Psychologen einen 20-seitigen Aufnahmefragebogen entwerfen lassen, dann könnten sie darauf verzichten, überall ihre kleinen Stolperfallen aufzustellen.
„Wann machst du Feierabend?“ fragt Mondheim jetzt, als sei das der Anlass für das Telefonat gewesen, das ansonsten nicht stattgefunden hat. Soll heißen, er wird lügen, wenn Jakob ihn aushorcht, ob ich brav war oder eine Klatschbase? Wobei – was erwarten die eigentlich? Mondheim und ich, wir wohnen seit gestern zusammen. Die glauben doch wohl nicht im Ernst, ich stelle den Zirkel über ihn!
„Wenn ich bis dahin mit allem durch um sechs,“ erwidere ich. „Es kann allerdings auch später werden. Meiner Mutter habe ich schon Bescheid gegeben.“
„Gut, dann bin ich womöglich vor dir zurück,“ sagt Mondheim. Das kann ich nicht glauben! „Du willst dich ganz allein meiner Mutter stellen?“ Er lacht. „Warum nicht? Ich glaube nicht, dass sie mich kastriert. Ist vielleicht sogar ganz gut, so ein Gespräch ohne dich. Dann muss sie nicht wie eine Löwin ihre Tochter verteidigen, sondern kann mich vielleicht ein wenig objektiver begutachten.“
Oh, oh; begutachten sicher, aber objektiv? Wenn er sich da mal nicht täuscht! Na, sollen die beiden einfach sehen, wie sie miteinander auskommen. Schließlich ist Mondheim ja kein Kind mehr und schon mit ganz anderen Leuten fertig geworden als meiner eigentlich ja richtig lieben und harmlosen Mutter.
***
Sehr schöne Geschichte. Ich interessiere mich als Inhaberin eines SM Studios immer für solch fantasievolle Storys wie man sie auf dieser Seite findet. Weiter so!
Danke schön – und alles Gute!
Sehr geehrte Herrinnen
Suche eine Herrin,die mich
im Freien zum Hund abrichten.
Sklave