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18. Januar 2013

Ja, wirklich schade, dass mitfühlende, taktvolle, sensible Männer langweilig sind. Sonst wäre der Abend mit Deinar ein echter Glanzpunkt gewesen. So war er einfach nur schön. Aber es ist ja ohnehin nicht besonders sinnvoll, sich gleich erneut zu verlieben, wenn man gerade ein gescheitertes Experiment mit der letzten rosaroten Brille hinter sich hat. Und überhaupt – Liebe am Arbeitsplatz: Nie wieder.

Trotzdem, ich genieße die Stunden. Es macht einfach Spaß, mit jemandem zu reden, der nicht sofort versucht, sich über einen zu setzen. Der nicht jede Ungeschicklichkeit wie mein umgefallenes Weißweinglas bei einer schwungvollen Geste als Katastrophe behandelt und die Stirn runzelt, sondern der – darüber lacht.

Jemand, der mich einfach ernst nimmt. Der nicht halb peinlich berührt, halb uninteressiert darüber hinweg geht, dass ich ein paar furchtbare Tage hinter mir habe und schlicht ein normales Funktionieren erwartet.

Ich verdränge bewusst die Frage, was am nächsten Morgen sein wird, wo ich mich entscheiden muss, ob ich zur Arbeit gehe, als sei nichts gewesen, oder mich damit abfinde, dass mein alter Job zu Ende ist und mein neuer erst in einiger Zeit beginnt. Es ist letztlich nur sehr wenig, was ein anderer tun kann; und Deinar tut weit mehr, als ich es selbst von einem guten Freund erwarten könnte. Deswegen muss ich doch selbst zum Lebenszahnarzt gehen und das Bohren ganz allein ertragen. Das Bohren, gegen das es keine Betäubungsspritze gibt.

Als es dann soweit ist, nach dem Aufstehen, ist es eigentlich keine Frage mehr – ich werde beim Magazin auftauchen. Und sei es nur deshalb, weil ich hohl drehen würde, bliebe ich einfach mit dieser Unsicherheit allein zu Hause.

Das Dumme ist nur, ich habe ja nichts zu tun. Gar nichts. Bloß sollte es so aussehen, als sei ich höchst beschäftigt, und so muss wieder einmal die Geschichte herhalten. Die mich inzwischen, das muss ich angeben, schon beinahe selbst anwidert in ihrer Simplizität und ihrer Verknüpfung mit Vorfällen in meinem eigenen Leben, ohne die ich mich weit besser fühlen würde.

Ich glaube, ich war beim ersten Fick. Das mögen Sie nicht, so ein schockierend direktes, schmutziges Wort? Warum nicht? Weil es der Situation nicht gerecht wird? Woher wollen Sie das wissen? Ist nicht manches, worin SIE den romantischen Beginn einer Lebenspartnerschaft sieht, für IHN doch nur eben das; und umgekehrt?

Wie oft haben Sie es schon erlebt, dass die beiden, die sich das erste Mal lieben, sich wirklich lieben und nicht nur den Hormonüberschuss ausleben? Wie gut kann man sich denn schon kennen und ergo lieben bei den allerersten Intimitäten?

Und wann sind in dieser Situation wohl schon einmal die Erwartungen der beiden Partner deckungsgleich?

Ich meine, gut, ich befasse mich in dieser Geschichte nicht mit den tiefsten Gefühlen der beiden Protagonisten. Schließlich geht es um Sex, gerade gut genug ummantelt, die moralische Prüderie nicht allzu sehr vor den Kopf zu stoßen. Aber versuchen wir doch einmal zu erahnen, was in den Köpfen und noch wichtiger in den Herzen der beiden vor sich geht. Und zwar ganz unabhängig davon, was bei mir persönlich geschehen ist. Davon hat die Story sich schon längst gelöst.

Also, sie ist die Redaktionsmieze mit Ehrgeiz, die aber, weil sie Frau ist und den Fehler gemacht hat, sich dann auch noch auf das Ressort Erotik festnageln zu lassen, nie den Sprung in der Karriereleiter machen wird, den sie sich wünscht. Er ist mit Sicherheit verheiratet oder liiert. Natürlich, in der Geschichte ist er das nicht – aber wenn man schon gegen die eine Moralregel verstößt, dass Sex tabu ist, muss man daraus ja nicht gleich auch noch einen Seitensprung machen, der weitere moralische Prügel einbringt. Nur, in der Realität ist es doch so, wie viele Solomänner gibt es? Genügend. Klar. Aber: Wie viele gibt es, meine Damen, in die Sie sich verlieben könnten? Womöglich liefert sogar die Tatsache, dass eine Geschlechtsgenossin gerade diesen Mann für begehrenswert hält, neuen Stoff für eigenes Begehren. So wie mich manches Kleidungsstück weit mehr reizt, wenn eine Kollegin es trägt, als wenn ich es nur im Laden auf dem Bügel sehe.

Halten wir also fest, er hat zumindest eine Freundin, wenn er denn schon unverheiratet ist. Vielleicht ist es nur eine lockere Beziehung, wo man sich ab und zu sieht, das Bett miteinander teilt, die Feiertage und die Freunde, oder es ist eine enge Partnerschaft, bei der man vielleicht sogar zusammenlebt. Halt, nein, das kann nicht sein – dann wäre seine Wohnung für das Abschlussvergnügen nicht in Frage gekommen. Obwohl, man hat sich ja darauf geeinigt, dass man zu ihr geht, und es war auch ganz schnell deutlich, dass sie das will. Da kann er gut seine eigene Wohnung ins Spiel bringen – er riskiert ja nichts. Und wer schon nicht die Wahrheit sagt darüber, ob er Single ist oder nicht, wohl wissend, in dieser Situation wird das Schweigen als feste Zusage dafür ausgelegt, dass man frei ist, wieso sollte der vor so einer kleinen Notlüge über die freie Wohnung zurückschrecken?

Damit steht ihm bevor: Er muss irgendwann zugeben, er ist nicht frei. Nicht ganz so frei, wie sie dachte. Er wird nicht anrufen wie versprochen, er wird Verabredungen nicht treffen oder versäumen, er wird Ausflüchte finden. Sie wird verletzt sein, später misstrauisch. Es wird Auseinandersetzungen geben. Irgendwann sieht sie ihn mit einer anderen Frau, oder er hat doch den Mut, es ihr zu gestehen, und nun kommt es darauf an, wie sie sich entscheidet. Und wie er sich entscheidet. Will er zwei Frauen, ist sie dazu bereit, die zweite Geige zu spielen, wagt er mit ihr den Neuanfang und bereut es später, spielt sie die moralisch Entrüstete und gibt ihm den Laufpass?

Und was wird dann am Arbeitsplatz?

Das ist die eine Seite. Die andere Seite ist, natürlich ist sie gerade auch deshalb von ihm so beeindruckt, weil er der Chefredakteur ist. Er personifiziert die Macht an ihrem Arbeitsplatz. Nicht die absolute Macht, denn an die wagt man sich ohnehin nicht heran, aber die Macht.

Glauben Sie, dass sie es schaffen wird, die begonnene persönliche Beziehung nicht beruflich auszunutzen? Mal hier eine kleine Fristverlängerung beim Abgabetermin, mal da ein zugedrücktes Auge, wenn ein Artikel nicht so gut ist, und irgendwann wird sie damit anfangen, auf Beförderung zu drängen. Oder zumindest auf eine Gehaltserhöhung. Wenn sie die an sich verdient hätte, wird er dennoch zögern, damit nicht der Verdacht der Protektion aufkommt. Das wird sie ihm übel nehmen. Wenn sie es nicht verdient hat, wird sie trotzdem persönlich beleidigt sein, dass er ihr beruflich nicht hilft. Er wird ihr einen Vortrag halten, man dürfe Privates und Berufliches nicht vermischen. Sie wird scheinbar zustimmen und dennoch grollen. Es wird Auseinandersetzungen geben. Irgendwann wird sie ihm lästig; beruflich oder privat oder beides. Und nun kommt es darauf an, wie er sich entscheidet. Sind die beiden nun schon so lange zusammen, dass eine Trennung schwer fällt, mag er es, wie sie sich um seine Wohnung kümmert und die Wäsche, und wie strahlend hübsch sie aussieht auf den Partys, zu denen sie gehen, und bleibt er, mehr aus Bequemlichkeit denn aus Liebe? Oder packt ihn doch die Langeweile, er sehnt sich nach Neuem, und gibt ihr den Laufpass?

Und was wird dann am Arbeitsplatz?

Wollen Sie das wirklich alles hören? Wo Sie doch im eigenen Leben bestimmt mehr als genug Probleme haben? Bestimmt nicht.

Kehren wir also zu dem zurück, was ich begonnen habe. Und das ist eine einfache kleine Geschichte, in der eben gefickt wird. Punktum.

Jetzt wird erst einmal eben das geschildert; ein paar kleine, heiße Details, überwältigende Gefühle, und dann irgendwelche Umschreibungen, die das Eigentliche erkennen lassen, ohne es plump zu beschreiben. Und auf geht’s zum „Nachher“. Die postkoitale Zigarette; halt nein, darüber schreibt man nicht; Rauchen ist out. Beschränken wir uns lieber auf die ungeheure Befriedigung und Zärtlichkeit pur. Verschweigen wir dabei schamhaft, dass die nur selten wirklich so vollkommen ist, wie man sie gerne hätte. Und dass sich rasch die ersten Gedanken an praktische Dinge einschleichen. Wo ist meine Hose, bleibe ich jetzt oder gehe ich nach Hause, was ist am nächsten Tag, war er/sie auch zufrieden, bin ich ein guter Liebhaber. Notfalls eben auch, wie sage ich’s meiner Frau.

Das überspringen wir doch besser. Ein zärtlicher Abschied, entweder noch in der Nacht, oder am nächsten Morgen. Obwohl, es ist ja Wochenende. Da kann er sicher bleiben. Fragt sich nur, was macht man so an einem Samstagmorgen mit der neuen Liebe. Wohl kaum die übliche Routine; putzen, waschen, einkaufen. Das ist ja ohnehin alles nicht so wichtig, wenn man verliebt ist. Worüber man sich spätestens ärgert, wenn am Sonntag Abend nichts im Kühlschrank ist oder die Lieblingsbluse ungebügelt; aber das ist eine andere Geschichte.

Spazieren gehen ist immer ganz praktisch. Schnell aus der Wohnung raus, die bestimmt am frühen Morgen ein bisschen muffig riecht, und dringend aufgeräumt werden müsste. Die Klamotten, die man am Abend vorher so sorglos überall verstreut hat, sind ja wieder eingesammelt. Und zumindest der, dessen Wohnung es nicht ist, trägt seine wieder; und fühlt sich ein wenig unbehaglich darin – Duschen hin oder her. Vor allem Duschen mit Frauenseife. Igitt. Oder umgekehrt – Duschen mit herbem Männerduft auf zarten Frauenkörpern. Und wie ist das mit Zähneputzen? Darf er/sie die eigene mitbenutzen? Ist man schon so intim miteinander, Intimität hin oder her? Hat man bereits in der ersten Vorfreude eine neue besorgt? Aber das könnte ein bisschen zu selbstbewusst aussehen; und außerdem so, als nehme man ständig fremde Männer/Frauen mit nach Hause.

Wie auch immer – ein solches erstes Aufwachen, bevor sich auch nur der Ansatz von Vertrautheit etablieren könnte, ist eine ziemlich verzwickte und in manchen Details auch absolut peinliche Angelegenheit. Wenn man Glück hat, können beide zusammen darüber lachen. Aber wann hat man schon mal Glück …

Für eine erotische Geschichte allerdings spielt das alles keine Rolle. Hier geht es allein darum, wann man einigermaßen überzeugend das nächste Mal zu der Sache kommen kann, die einen überhaupt zusammengeführt hat. Und da man frisch verliebt ist, ist das natürlich gleich und sofort. Direkt nach dem Aufwachen. Also los. Sie wollen wirklich? Schon wieder? Nun gut – im nächsten Kapitel.
***

Ja, von wegen – nichts war es mit einem gemütlichen, erotischen Samstag- oder vielmehr Dienstag-Vormittag. Meine Tür fliegt auf, Maibaum kommt rein. Mein Herz wird blitzartig schon wieder zum Presslusthammer.

Flüchtig schießt mir der Gedanke durch den Kopf, dass dies seit Monaten so ist; nur hat es inzwischen ganz andere Gründe als am Anfang.

„Ich hoffe, Sie haben das nicht ernst genommen, was ich Ihnen gestern gesagt habe. Allerdings müssen wir wirklich dringend über Ihre Leistungen reden; ich bin da schon etwas enttäuscht von Ihnen. Deshalb habe ich auch nochmals mit den Geschäftsführern gesprochen. Also, wenn Sie noch immer Wert darauf legen, sofort bei uns aufzuhören, ich glaube, das ließe sich machen.“

Ist das jetzt eine Form von Entschuldigung? Etwas deutlicher hätte er das schon machen können. Aber das ist ja ein normales Verhalten – man tut einem anderen etwas an, und weil man den Fehler nicht zugeben kann, verzichtet man auf vollständige Abbitte und verpackt die so, dass gleich ein zweiter Giftpfeil mit verschossen wird. Schließlich ist ja immer der andere selbst schuld, dass man sich daneben benommen hat, nicht wahr? Und so wird dann etwas, worauf man zu Recht besteht, als eine Art Gnade gewährt, und man bleibt durchgehend der Sündenbock – sowohl für die erste Beleidigung, als auch für den Rückweg davon.

Aber was will ich jetzt – auf meinem Recht bestehen und als klarer Sieger vom Platz gehen? Solange man mich überhaupt verschwinden lässt, ist mir das vollkommen schnuppe, ob ich nun die gekränkte Unschuld bin oder die unverschämte Böse. Das Gute ist, der Typ geht mir inzwischen so am Arsch vorbei, dass nichts anderes zurückbleibt bei diesen fiesen Tricks als ein kaltes Gefühl des Unbehagens. Das allerdings wühlt sich durch die Haut in Muskeln, Sehnen und Knochen bis mitten ins Knochenmark hinein.

Ob ich mich darauf jetzt verlassen kann, was Maibaum mir anbietet? Die Macht dieses seltsamen SM-Zirkels scheint ziemlich groß zu sein, wenn es ihn sogar in seiner Wut gegen mich stoppt, von der ich gar nicht genau weiß, woher sie kommt.

Das wäre etwas, das würde mich interessieren – ein Artikel über diesen Zirkel. Oder vielmehr gleich eine ganze Artikelserie; in nur einem lässt sich das sicher nicht einmal wirklich anreißen. Die Mitglieder ein wenig vorstellen (natürlich anonym – die wollen bestimmt nicht, dass ihre Namen bekannt werden, sonst würden sie auf das ganze Geheimnisbrimbamborium verzichten), die Entstehung des Zirkels selbst, und dann die internen Zusammenhänge. Wie hilft man sich gegenseitig, welche Regeln gibt es, wie wird man aufgenommen – und wie kann man wieder austreten.

Ein netter Traum; die werden mich gerade reinlassen; zumal wenn Maibaum etwas zu sagen hat. Journalisten haben da bestimmt nichts zu suchen, schon gar nicht solche Schmierenkomödianten von Anzeigenblattredakteuren, und ich als Persona bin ja nun gänzlich non grata.

Andererseits reizt mich gerade das, die Unmöglichkeit einer solchen Unternehmung. Ich will wissen, was hinter den Kulissen solcher Zusammenschlüsse vorgeht, in denen ebenso rasch beschlossen wird, eine Person zu vernichten, wie dieser Vernichtung Einhalt zu gebieten. Eine Vereinigung, deren Gesamtwille anscheinend über dem Willen des einzelnen Mitglieds steht. Oder, wenn nicht der Gesamtwille, dann der Wille eines einzigen, mächtigeren Mitgliedes. Ein Bund, in dem ein Mensch aufhört, sein Leben allein nach seinen eigenen Vorstellungen zu formen und beginnt, fremde Einflüsse zuzulassen. Und dann auch noch so weitgehend wie in meinem Fall; oder vielmehr in Mondheims/Maibaums/meinem Fall.

Ich habe nicht die geringste Ahnung, wodurch ich zu einem solchen Zankapfel an einer Stelle geworden bin, von der ich bis vor kurzem nicht einmal etwas wusste. Aber nachdem es nun einmal geschehen ist, will ich mehr wissen. Ich will erfahren, wie das funktioniert; wie sich solche Räder drehen, die so massiv Einfluss auf mein Leben nehmen und mich entweder zermalmen oder nach oben drücken.

In meiner Begeisterung für diese Idee habe ich Maibaum nur noch mit halbem Ohr zugehört. Es scheint so zu sein, dass ich nur noch etwas bei der Sekretärin von Meisig unterschreiben muss, und schon endet mein Vertrag zu diesem Monatsende, ich werde jedoch, unter Anrechnung meines Resturlaubs, umgehend von meiner Arbeitspflicht freigestellt. Es werden sogar die paar Urlaubstage ausbezahlt, die danach noch über bleiben.

Alles völlig korrekt; so kommt es mir vor. Genau das macht mich misstrauisch. Man hat nach Strich und Faden versucht, mich zur Schnecke zu machen während der vergangenen Woche; man hat vor keiner haarsträubenden Lösung zurückgeschreckt; selbst wenn ich kein Jurist bin, weiß ich doch, einiges von dem, was man mir letzte Woche als unumgänglich erklärt hat, war die pure Unverschämtheit, die man vor dem Arbeitsgericht nie durchgebracht hätte. Und jetzt auf einmal wird man korrekt? Auf einmal? Da steckt doch irgendetwas dahinter. Vielleicht die Erkenntnis, man hat es letzte Woche übertrieben; vielleicht aber auch Angst. Nicht vor mir; ganz sicher nicht vor mir. Bei so kleinen Bauern wie niederen Angestellten kann Angst allenfalls die Assoziation mit einer anderen, mächtigeren Schachfigur auslösen.

Ob Maibaum Angst hat vor Mondheim?

Nein, wieso sollte er? Auf der anderen Seite, wieso sollte er nicht? Maibaum hat durch sein Verhalten mir gegenüber deutlich gezeigt, er reagiert sehr wohl auf Machtstrukturen. Sonst hätte er seine berufliche Macht über mich nicht so haltlos ausgespielt. Die meisten, die das tun, reagieren wie Radfahrer auch im umgekehrten Fall und beugen sich. Völlig unwahrscheinlich ist es nicht, dass Mondheim mehr Macht hat. Er hat Geld – sonst könnte er sich kein solches Hobby leisten wie das Anzeigenblatt -, er ist nicht nur Chefredakteur, sondern Eigentümer eines Blattes, wenn das auch hinter dem Magazin weit zurücksteht – und er muss noch einiges andere am Laufen haben. Gesellschaftlich ist er damit Maibaum, der trotz allem ein Angestellter ist und bleibt, der nicht an der Spitze steht, weit überlegen.

Dieses Schachspiel, das da momentan gespielt wird, interessiert mich immer mehr. Kein Wunder – bin ich darin doch gleichzeitig Opfer, unselbständige Waffe – und verwunderter Beobachter.

Kaum ist Maibaum wieder weg, merke ich eine spürbare, ungeheure Erleichterung. So langsam ordnet sich alles wieder, wenn auch ein übermütiger Kobold die ganzen Dominosteinchen ziemlich durcheinandergewirbelt hat. Ob die neue Ordnung eine bessere ist, eine schlechtere, oder eine, die teils besser ist, teils schlechter – die Lebenserfahrung vermutet natürlich letzteres -, das wird sich erst später herausstellen. Immerhin, die Zeit meines Herumwirbelns hat ein Ende. Nicht die Zeit der Schwierigkeiten; allein schon der weit längere Weg zum Blatt statt zum Magazin, jeden Morgen hin, jeden Abend zurück, plus noch einmal zwischendurch, wenn ich irgendetwas in der Stadt erledigen muss, was jetzt so schön einfach nebenbei laufen kann – das ist eine neue Dauerbelastung, mit der ich einfach fertig werden muss. Eine Kleinigkeit, einzeln betrachtet, vielleicht sogar in der Gesamtschau – aber dennoch ein paar Kieselsteine mehr in dem Rucksack, der mir auf den Rücken gewachsen ist in diesem Leben. Ein paar kommen heraus, ein paar kommen dazu. Ich bin gespannt, ob das Gesamtgewicht steigt, sinkt – oder eher gleich bleibt.

Manchmal habe ich das Gefühl, von diesem stetigen Wechsel der Steinchen abgesehen wird das Teil einfach nur jedes Lebensjahr ein wenig schwerer. Vielleicht ist das auch ein Grund, warum so viele im Alter gebeugt gehen. Anfangs ist noch nicht viel drin, im Packen, und man lebt ja auch noch in der Illusion, gleich um die Ecke warte die Endstation für alle Kiesel, die man schon eingesammelt hat, und man könne ganz ohne Lasten weiterziehen. Erst mit den Jahren merkt man, leer wird das Teil garantiert nie. Manchmal fühlt man sich nur ein bisschen stärker, und manchmal sind es so wenige Steine, dass es sich damit noch gut tanzen lässt. Aber es kommt immer wieder etwas dazu.

Ein weiterer Stein, der dazugekommen ist – auch wenn ich mich keinem aus dem Magazin besonders eng angeschlossen habe, es ist doch eine gewisse Vertrautheit da. Man kennt sich, man weiß, wie die anderen sind, man hat bereits gelernt, mit ihnen umzugehen. Man hat seine Position; und sei die auch nicht besonders berauschend. Nun muss ich mich wieder an lauter neue Namen und Gesichter gewöhnen, mich neugierig anstarren lassen, vorsichtige Schritte auf die anderen zu machen, die mir zum Teil entgegen kommen, mich zum Teil zurückstoßen werden. Ich muss erst einmal lernen, was in dem Schuppen wie funktioniert. Mir meine Position erkämpfen.

Die lockende Herausforderung des Neuen – wer den blöden Spruch erfunden hatte, der sollte sich derselben erst einmal gründlich selbst stellen und einen neuen prägen.

Aber vielleicht habe ich einfach nur die falsche Einstellung.

Nur, darüber nachdenken kann ich später auch noch in Ruhe zu Hause; jetzt sorge ich erst einmal dafür, dass diese Lösung, die Maibaum mir gerade wie ein Stück Käse vorgehalten hat, weder zu einer Falle gehört, noch eine Fata Morgana ist. Der Wisch, den gnä‘ Frau im Vorzimmer von Meisig mir unter die Nase hält, als bestünde er tatsächlich aus dem erwähnten Käse, ist fünf Seiten dick. Und die erwarten jetzt, dass ich den entweder ohne jede Kontrolle unterschreibe, oder zumindest doch innerhalb kürzester Zeit lese, verstehe und vor allem akzeptiere? Na prima. Und was mache ich nun? Mich einfach darauf verlassen, der Druck von Seiten Mondheims sei stark genug, mir eine anständige Behandlung zu sichern? Wo ich ja nicht einmal sicher sein kann, ob dieser Druck tatsächlich existiert. Nach dem, wie man mich in den letzten Tagen hier behandelt hat, sollte ich nichts und niemandem vertrauen.

Ich beginne damit, die vielen Absätze zu studieren, die in meinen Augen zum größten Teil völlig unnötig sind. Was ist denn schon zu regeln außer einem Vertragsende einen Monat vorzeitig, einer sofortigen Freistellung unter Anrechnung auf den Urlaub und einer Ausbezahlung des Resturlaubs? Wie viele Tage das noch sind, die mir zustehen, das, was praktisch mit am wichtigsten ist, dazu finde ich natürlich überhaupt nichts. Dafür aber einiges über Schweigepflicht, Vertragsstrafe und so weiter; lauter Dinge, von denen vorher nie die Rede war. Die Klappe halten über das, was ich hier erlebt habe, muss ich doch ohnehin, soweit ich das weiß. Weshalb betont man das jetzt so? Und eine Vertragsstrafe von EUR 25.000 – da könnte man genauso gut eine Million einsetzen; ich kann das eine so wenig zahlen wie das andere.

Nein, diesen Vertrag mag ich nicht, und diesen Vertrag unterschreibe ich nicht.

Aber was ist, wenn ich mich weigere? Muss ich dann weiterarbeiten, und die Schikane geht weiter, jeden lieben langen Tag die nächsten Wochen? Oder will man mich jetzt ebenfalls dringend loswerden? Dann könnte ich natürlich pokern und ihnen dieses Schein-Jurösisch zum Hinternabwischen zurückgeben. Bloß, wie komme ich dann an eine Fassung, die dem entspricht, was ich für nötig halte? Etwas, das ich aufgesetzt habe, unterschreibt mir Meisig garantiert nicht.

Es ist eine intuitive Entscheidung, die ich treffe, als ich das verstohlene Grinsen des Meisig-Drachens bemerke, bei einem kurzen Schwenkblick zu mir. Die wollen mich verarschen. Und das mache ich nicht mit. Wenn sie mich dafür bestrafen, indem ich noch bis Monatsende täglich zur Arbeit erscheinen muss, dann kann ich denen ihre Tage mindestens ebenso sauer machen wie sie mir meine. Ich muss mich nur ein wenig anstrengen; und damit habe ich bislang nicht einmal angefangen.

Ich entferne die Heftklammer, nehme die Seiten 3 und 4 heraus, auf denen gar nichts steht, womit ich etwas anfangen kann, streiche alles, was über meine Kurzzusammenfassung von oben hinausgeht, ergänze die mir noch zustehenden Urlaubstage, und das Ganze mache ich zweimal. Unter dem zunehmend empörter werdenden Gesicht der Sekretärin. Dann unterschreibe ich ein Exemplar, stecke das andere ein – man hat leichtsinnigerweise von Seiten der Firma bereits unterschrieben – und mache mich aus dem Staub.

Nicht dass ich davon ausgehe, mit dieser krassen Eigenmächtigkeit durchzukommen; aber die ihre habe ich ihnen so wenigstens gründlich vermasselt. Und wenn ich mit diesem Verträglein und sämtlichen privaten Besitztümern jetzt ganz schnell aus dem Saftladen hier verschwinde, dann wollen wir doch mal sehen, ob die darüber nicht glücklich genug sind, die Angelegenheit auf sich beruhen zu lassen.


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