Vorbereitungen auf die High Society

12. März 2013

Der ist ja vielleicht eine Nummer! Eine göttliche Vorstellung, mir auszumalen, wie er sich den dezenten, zurückhaltenden, leisen Maibaum vornimmt und ihm erklärt, was er zu tun hat. Schade, dass ich nicht dabei war.

„Aber jetzt mal zu den ernsten Dingen. Sie wollten mich sprechen?“

„Nicht direkt,“ entgegne ich. „Ich denke aber, Sie sollten mich wenigstens einmal gesehen haben, wenn ich schon nächsten Monat hier anfange zu arbeiten.“ „Und vice versa, vielleicht?“ fragt er. „Auch das,“ bestätige ich. „Nun,“ sagt er gedehnt, „normalerweise sucht Deinar die neuen Leute aus und macht mit ihnen alles perfekt. Hatten Sie Schwierigkeiten mit ihm? Oder reicht Ihnen das nicht?“

Oje, das geht in die falsche Richtung. „Um Himmelswillen, nein, Herr Deinar war ausgesprochen freundlich und zuvorkommend – und selbstverständlich ist es allein Ihre Sache, wie Sie das mit den Neueinstellungen regeln.“ Ich zögere. Darf ich über den Zirkel überhaupt reden? Der ist ja der Hauptanlass für meinen Wunsch, Mondheim zu sehen. Wenn es nur um den Job ginge, da kann ich sehr gut mit Deinar leben. Besser bestimmt als mit diesem Raubauz. Ein kurzer Blick zu Deinar; er nickt mir zu. „Aber das ist ja nicht alles. Wenn ich das richtig verstanden habe, sind Sie bereit, meinen Antrag auf Aufnahme in einen gewissen exklusiven Kreis zu befürworten, der mich ausgesprochen interessiert.“ „Schön umschrieben,“ murmelt er und spielt mit einem Bleistift.

Langsam regt sein Verhalten mich auf. Erst will er mich zusammen mit Deinar in diesem Zirkel drin haben, und jetzt lässt er mich hier stottern und mühsam begründen, warum eine Begegnung zwischen uns vorher sinnvoll ist. „Sie können es auch deutlicher haben,“ bemerke ich, leicht aggressiv. „Ich weiß nicht, was für ein Interesse Sie daran haben, mich in diesem blödsinnigen SM-Zirkel zu sehen. Ich weiß aber sehr wohl, warum Deinar ein Interesse an meiner Aufnahme hat, und das reicht mir. Ich würde es zwar für normal halten, dass Sie sich die Person wenigstens einmal näher ansehen, die Sie dabei unterstützen wollen, für die Sie bürgen und somit einiges riskieren, aber meinetwegen müssen wir das Gespräch nicht fortsetzen. Es kann natürlich auch sein, dass ich etwas völlig falsch verstanden habe. Für den Fall bitte ich um Entschuldigung. Wie auch immer – ich glaube, ich gehe jetzt besser.“

Mondheim lehnt sich vor. „Nun mal langsam mit den jungen Pferden. Sie gehen ja ran wie Blücher! Sie haben das schon alles richtig verstanden. Ich finde es auch höchst ehrenhaft von Ihnen, um meinen Ruf besorgt zu sein. Aber wie ich schon sagte, ich vertraue Deinar. Ich kann mich nun wirklich nicht um alles selbst kümmern. Er ist sozusagen mein Majordomus, und wenn er Ihnen etwas sagt, dann gilt das wie mein eigenes Wort.“

Schön – dann ist ja alles geklärt. Er lässt nur auf Deinars Wort hin eine Tussi in den edlen Club, die rangeht wie Blücher, wie er so treffend festgestellt hat, und die, wenn er Pech hat, jedem dort so frech und respektlos begegnet wie jetzt ihm. Wenn ihm das gefällt – bitte.

„Nun kommen Sie mal wieder runter auf die Erde, Mondheim,“ mischt sich jetzt Deinar ein. „Sie haben Ihre Wut doch schon an der Merling ausgelassen. Das reicht.“

Meine Güte, die reden hier miteinander, als ginge es um einen rhetorischen Boxkampf. Klasse – da kann ich mithalten.

„Natürlich will Frau Senreis Sie vorher sehen,“ fährt Deinar fort. „Schließlich tun nicht nur Sie ihr einen Gefallen, sondern sie tut Ihnen ebenfalls einen.“ Mondheim stemmt die Hände auf den Schreibtisch. „So? Tut sie das?“

Ob ich einen Schiedsrichter rufen soll?

Mit zusammengekniffenem Mund sieht Mondheim noch gefährlicher aus. „Wenn ich mich recht entsinne, Deinar, war es Ihre Idee, unsere Neue gleich mit aufzunehmen. Wie sagten Sie so schön – der SM-Hintergrund passt, hinsehen kann sie auch – und es wird wirklich Zeit, dass einmal jemand von außen denen einen Spiegel vorhält?“

Deinar bleibt erstaunlicherweise ganz ruhig. „Nun reden Sie nicht, Mondheim. Das war bloß vorauseilender Gehorsam. Ich weiß, dass Sie einigen dort auf die Finger sehen, womöglich sogar hauen wollen, und sie ist genau die Richtige dafür. Sonst würden Sie ja gar nicht mitmachen.“

Heh, hallo, Männleins, ich bin selbst anwesend! Es muss keiner über meinen Kopf hinweg reden, als sei ich gar nicht da oder Luft oder was auch immer!

Mondheims Faust landet krachend auf dem Schreibtisch. „Jetzt schlägt’s aber 13!“

„Oh verdammt,“ brülle ich, „jetzt lassen Sie endlich mal Deinar in Ruhe! Wenn er etwas sagt, dann gilt das wie Ihr Wort, das haben Sie selbst gesagt! Und jetzt habe ich genug von dem Kindertheater!“ Was interessiert es mich, dass ich mit meiner Unverschämtheit meinen neuen Job riskiere – wenn man hier so miteinander umspringt, will ich da gar nicht arbeiten!

Einen Moment lang starrt mich Mondheim an. Dann krümmt er sich vor Lachen. „Sie haben völlig recht, Deinar – die ist die Richtige! Und eine Eroberung haben Sie in ihr auch noch gemacht, gratuliere!“

Oh Mann, oh Mann – der kostet echt Nerven, dieser Mondheim!

„Und jetzt wird sie auch noch rot,“ setzt er nach. „Herrlich! Ich dachte, die jungen Damen, die noch erröten können, sind längst ausgestorben?“

Ich will hier raus!

Endlich dringt es wohl auch durch das Rhinozerosfell von Mondheim durch, dass er sich langsam wieder einkriegen könnte. Ganz überraschend wird er richtiggehend ernst. „Frau Senreis, ich bin froh, dass ich Sie kennen gelernt habe. Ich denke, wir werden uns gut verstehen. Und Deinar ist ohnehin schon Feuer und Flamme für Sie. Aber Sie nehmen es mir hoffentlich nicht übel, wenn ich mich dann nicht weiter um alles kümmere, ja? Wenden Sie sich an Deinar, wann immer etwas ist, der wird das schon alles machen.“

Kann ich jetzt gehen? Beinahe frage ich es laut. Ich bin so was von fuchsteufelswild; gut – ein bisschen amüsiert auch. Sobald ich wieder in meiner sicheren Wohnungsburg bin, kann ich im Nachhinein das Gespräch bestimmt auch genießen.

Deinar steht auf. Er begleitet mich noch bis in den Hausflur. Ein paar der Mitarbeiter winken mir sogar zum Abschied zu; fast freue ich mich schon auf meinen ersten Tag hier. „Den haben Sie mächtig beeindruckt, Anne,“ lächelt Deinar. „Ach ja? Schön, dass Sie es sagen. Ich dachte eher, ich hätte es mir total bei ihm verscherzt.“ Aus dem Lächeln wird ein Lachen. „I wo – mit Mondheim müssen Sie so umspringen, sonst faltet er Sie dreimal und steckt Sie in die Tasche. Das war schon alles ganz richtig so.“

Er sieht sich um, so als dürfe den nächsten Satz niemand mithören. „Sie dürfen sich allerdings in einem nicht täuschen – Mondheim verlangt viel. Von sich selbst und von anderen. Man darf ihn nie unterschätzen. Er brüllt nicht nur, er klotzt auch ran wie blöde, und erwartet das von all seinen Mitarbeitern. Da habe ich jedoch keine Bedenken bei Ihnen.“

Drinnen ruft jemand nach ihm. „Ich muss wieder. Ich rufe Sie an, heute Abend oder spätestens morgen.“

Noch eine kurze Begegnung seiner Hand mit meinem Arm, und weg ist er. Ich steige die Treppe hinunter, völlig durcheinander. Enttäuscht (vor allem natürlich, weil wir nicht länger reden konnten), erschöpft nach dem, was gar nicht die Auseinandersetzung war, für die ich es hielt, und insgesamt völlig durch den Wolf gedreht.

Hoffentlich werden die Arbeitstage hier weniger anstrengend.

***

Deinar ruft tatsächlich am Abend an und erkundigt sich, ob ich alles gut verkraftet habe. Er ist jedoch merkwürdig distanziert. Entweder bereut er den Sonntag Abend, oder er ist aus einem anderen Grunde verlegen. Warum auch immer er den Rückzug antritt, ich mache es ihm leicht; schließlich ist er mein zukünftiger Chef.

Insgeheim hatte ich natürlich gehofft, noch das eine oder andere mit ihm gemeinsam unternehmen zu können. Nicht, dass ich das auch nur mir selbst gegenüber hätte offen zugeben wollen. Aber aufdrängen werde ich mich nicht. Man kennt das ja von den Männern – ein Schritt vor, zwei bis 20 zurück, und die besten Karten hat die Frau, die gar nicht erst mitspielt. Zumindest nicht hinterher jachtert.

Die Folge ist, ich verbringe einige der lausigsten, miserabelsten freien Tage, die ich jemals erlebt habe. Katrin nebst Zwillingen wundert sich schon über drei Besuche in sechs Tagen, Evelyn muss sich mitten in ihrer neuen Liebschaft (ich hatte doch recht!) immer wieder eine Viertelstunde hier, da und dort wenigstens am Telefon aus den Rippen schneiden, selbst meine Eltern freuen sich über weit mehr Anrufe als gewöhnlich. Zu einem Besuch allerdings kann auch die allgemeine Langeweile mich nicht treiben.

Zum Schreiben komme ich nicht; dazu braucht man gute Stimmung oder die totale Verzweiflung, nicht so ein Wischiwaschi mittendrin. Ich fange dies und jenes an und beende es gleich wieder. Im Internet lese ich weit mehr als mich interessiert, und im Computerspiel habe ich die ersten Abenteuer tatsächlich geschafft.

Langsam, aber unaufhaltsam wächst meine Wut auf Deinar, weil er mich in dieser beschissenen Situation allein lässt, obwohl wir doch gerade begonnen haben, Freunde zu werden.

Endlich reicht es mir; am Dienstag Abend der zweiten Woche schreibe ich ihm ein Mail. Wozu habe ich denn seine Mailadresse? Einfach nur so, wie es ihm geht, ich hätte so lange nichts mehr von ihm gehört. Ja, und, ich gebe es zu, ich schreibe auch noch rein, dass ich ihn vermisse. Blöde, gelt? Aber tu mal einer was gegen sentimentale Anwandlungen.

Die Antwort kommt postwendend; als hätte er nur auf ein kleines Zeichen von mir gewartet. „Ich dachte schon, Sie wollten nichts mehr von mir wissen.“

Was soll denn der Schwachsinn? Er ist doch derjenige, der im Büro und später am Telefon so halb abweisend war! Aber bevor ich ihm das lange schriftlich erkläre, frage ich lieber, ob ich ihn nicht anrufen kann. Zwei Minuten später klingelt das Telefon, und er ist dran. So liebe ich mir das …

Ganz besorgt erkundigt er sich, wie es mir geht. „Beschissen,“ erkläre ich, wahrheitsgemäß. „Es ist grässlich, frei zu haben, wenn man das eigentlich gar nicht will. Und dann waren Sie noch so distanziert. Habe ich etwas falsch gemacht?“ Typisch Frau – immer den Fehler zuerst bei sich selbst suchen. Andererseits ist das taktisch nicht ungeschickt und eine nette Falle für das gejagte Wild. Zumindest wenn der Mann ein Kavalier ist, muss er nun das Gegenteil versichern und großzügig alle Schuld übernehmen. Was sich Deinar prompt bemüht zu tun. Also ein Kavalier; prima.

„Ich hätte Sie heute oder morgen ohnehin noch angerufen,“ sagt er dann. „Ich weiß nicht, ob Sie Interesse daran haben, aber Mondheim feiert am Samstag im sozusagen privaten Kreis. Er wird 53. Er hat mich schon letzte Woche gefragt, ob ich Sie nicht überreden kann mitzukommen. Nur dachte ich, Sie hätten lieber ein paar Tage für sich. Ich hatte schon ein ganz schlechtes Gewissen, Sie die ganze Zeit so zu bedrängen.“ Ja, ist ja gut. Menschenskinder, bei Mondheim eine dicke Lippe riskieren, und bei mir dann glauben, er würde mir auf die Nerven gehen, wenn er sich nicht ganz außerordentlich zurückhält und in der Versenkung verschwindet. Und ich dachte, er sei gerade dabei, sich alles nochmals gut zu überlegen und den Rückzug vorzubereiten, nachdem er sich ein wenig zu weit vorgewagt hatte. So kann man sich täuschen.

„Möchten Sie mitkommen? Ich würde mich sehr darüber freuen.“ Also, eigentlich ist mir ganz und gar nicht nach einer High Society-Fête; aber solange Deinar dabei ist, habe ich wenigstens einen, an dem ich mich festhalten und mit dem ich mich über die anderen austratschen kann, falls es zu schlimm wird. Seine spitze Zunge kann einiges zum Vergnügen werden lassen, was ansonsten unerträglich wäre. Außerdem, ich habe ja sonst nichts vor. Fragt sich nur, was ich anziehe. Hilfe! Ja, klasse – wer soll mir denn bei der Entscheidung helfen? Deinar kann ich danach bestimmt nicht befragen.

„Ich muss Sie nur vorwarnen,“ ergänzt Deinar. „Maibaum wird auch anwesend sein.“ Na super. Und daraus soll ich mir jetzt etwas machen? Zugegeben, eine Begegnung mit ihm ist nicht unbedingt das, was ich mir als angenehm vorstelle, und zumal in dieser Umgebung, in der automatisch er die Oberhand hat, weil er alle schon lange kennt. Bloß, irgendwann einmal muss es ja sein. Kann ich gleich meine innere Abhärtung testen. „Irgendjemanden, den man nicht leiden kann, trifft man doch auf jeder Party,“ sage ich leichthin. „Das soll mich nicht abhalten. Ich gehöre ohnehin nicht in den Kreis, da kommt es auf eine Peinlichkeit mehr oder weniger nicht an. Aber eine Frage müssen Sie mir beantworten – warum will Mondheim mich dort sehen? Oder hat er alle seine Angestellten eingeladen?“

„Das nun nicht,“ räumt Deinar ein. „Er stellt sich nur vor, es sei eine ganz geschickte Möglichkeit, Sie und ein paar der anderen schon einmal auf neutralem Boden zusammenzubringen.“ „Mit anderen Worten, er spielt wieder ein kleines Spielchen,“ konstatiere ich. Deinar lacht. Ein schöner Laut. „Ja, das lässt sich nicht übersehen, nicht wahr? Das macht er gerne, Leute überraschenden Situationen auszusetzen, sie zu provozieren. Er sagt, so kann er am meisten erfahren, weil man dann sein eigentliches Wesen am wenigsten verbergen kann.“ Na, immerhin eine nette Erklärung für den kaltblütigen Marionettentanz, den Mondheim also anscheinend des öfteren veranstaltet. „Und was macht er, wenn es schief geht? Wenn es eine echte Szene gibt?“ „Das kommt darauf an. Wenn er die Leute nicht mag, schaut er sich das einfach an. Manchmal greift er auch ein. Und zur Not hat er immer noch mich. Das ist eine meiner Aufgaben, das Schlimmste zu verhindern.“

„Er poltert, und Sie beruhigen – good guy, bad guy,“ bemerke ich. „Gnade Gott denen, die Ihnen beiden in die Hände fallen!“ „Ist doch besser, als wenn man Sie und ihn zusammenstecken würde,“ kommt die Retourkutsche, „dann haben die armen Opfer gar keinen mehr, der sie unterstützt.“

Ich gebe mich geschlagen. „Okay, Sie haben gewonnen. Aber noch einmal zu den praktischen Dingen. Wann muss ich wo sein?“ „Ich hole Sie ab; um halb acht am Samstag. Und für den Fall, dass Sie überlegen, was Sie anziehen sollen – Mondheim selbst ist es ziemlich egal, was die Leute tragen, aber seine Frau ist da anders.“ „Mit anderen Worten, wenn ich nicht auffallen will, sollte ich mich ordentlich in Schale schmeißen.“

Ich kann sein Grinsen durchs Telefon sehen. „Ich kann es kaum erwarten. Als Mann muss ich ja immerhin nicht weiter nachdenken.“ „Wieso, was wird es denn? Normaler Anzug, oder Smoking?“ „Smoking? Ganz so vornehm ja nun auch wieder nicht. Obwohl Sie bestimmt einige Herren mit Seidenrevers sehen werden. Nein, ich beschränke mich auf einen einfachen dunklen Anzug.“

„Schade,“ stichele ich. „Dann muss ich mich ja auch zurückhalten.“ „Bitte nicht,“ pariert er. „Gegen Sie bin ich ohnehin die graue Maus – warum nutzen Sie das nicht gründlich aus?“

„Soll das jetzt ein Kompliment sein?“ „Um Himmelswillen – nein. Komplimente mache ich nur persönlich, nicht am Telefon.“ „In Ordnung – ich hoffe, ich kriege dann ein paar ab, wenn ich völlig verschüchtert und nervös an Ihrer Seite in den Empfangssaal hineinwanke.“ „Sie kriegen von mir alles, was Sie brauchen.“

Aha; was soll das denn nun wieder sein? Ein dummer Spruch? Ein Flirtansatz? Eine Andeutung? Egal; Schluss mit dem Unsinn. Jedenfalls weiß ich, was ich morgen zu tun habe. Hoffentlich finde ich irgendwo etwas, was nicht zu teuer ist, aber chic genug, auch in anderen Kreisen als denen zu bestehen, in denen ich mich normalerweise bewege.

Langeweile ist ein seltsames Tier; nur damit es sich verkrümelt, wagt man auf einmal auch Dinge, vor denen man sonst schreiend weglaufen würde.

Noch ein wenig Geplänkel hin und her – Deinar scheint heute Abend richtig in Laune zu sein -, dann legen wir beide auf. Ich ein wenig widerwillig; es macht soviel Spaß, mit ihm zu reden, und genau das kann ich brauchen. Aber schließlich hat er ja bestimmt auch noch etwas anderes zu tun als unterbeschäftigte Damen zu unterhalten.

Am nächsten Morgen ziehe ich gleich los, Klamotten kaufen. Leider ist mein Budget von begrenztem Ausmaß. Und von ebensolchem sind im Hinblick auf ihre Schönheit auch die Sonderangebote. Jetzt habe ich nur zwei Möglichkeiten; entweder trage ich das eine Teil, was ich habe, ein fast bodenlanges blaues Samtkleid ohne Ärmel mit einem kleinen Bolero darüber in blau und schwarz (war gar nicht teuer, sieht immer noch klasse aus, und von den Partygästen hat mich allenfalls Maibaum schon einmal darin gesehen, und dessen Meinung ist mir schließlich schnuppe) – oder ich greife tiefer in die Tasche, als es vernünftig wäre.

Nein, es ist zuviel passiert in der letzten Zeit, und ich habe zu deutlich gemerkt, wie wenig sicher man auch in einer sicheren Stellung ist. Meine Reserven sind ohnehin minimal bis nicht vorhanden, und nach dem Mist mit dem einen Job muss nur ein zweiter kommen, und schon knapse ich nicht an Abendkleidern, sondern an Stromverbrauch, Kinobesuch und Fleisch zum Sonntagsessen. Ich riskiere nichts. Gut, ein neues Paar Schuhe leiste ich mir dann doch; wirklich schöne und noch dazu bequeme Pumps mit niedrigen Absatz und trotzdem genügend Pfiff. Aber die hätte ich für ein neues Kleid ohnehin gebraucht, also war ich regelrecht sparsam. Bei der schnieken Abendtasche in Silber widerstehe ich ohne Probleme; allerdings nur deshalb, weil meine alte aus blauem Samt mit schwarzen Stickereien viel besser passen wird. Das war ein Glücksgriff ohnegleichen, etwas in genau demselben Farbton gefunden zu haben wie das Kleid selbst.

Neue Nylons müssen natürlich auch sein; das versteht sich von selbst. Aber nein, ich werde nicht bei irgendwelchen verführerischen Dessous zuschlagen. Wer sollte schon sehen, was ich darunter trage? Keiner. Na also.

Sehr zufrieden mit mir selbst bin ich vier Stunden später wieder in der Wohnung und langweile mich.

Jetzt allerdings habe ich endgültig die Schnauze voll vom Nichtstun. Ob es Deinar nun passt oder nicht, ich werde all das zu fertigen Artikeln verhackstücken, was mir in der letzten Zeit an Ideen durch den Kopf gegangen ist. Wenn er es nicht haben will, ist es nicht schlimm; und falls doch, habe ich zu Arbeitsbeginn gleich ordentlich Stoff.

Erstaunlicherweise ist Evelyn sogar bereit, mir ein paar Fragen zu beantworten, für den Beziehungsüberschwangsartikel. Sie ist wirklich das Paradebeispiel einer unabhängigen Frau; jedenfalls wirkt sie so. Und anders als die meisten anderen Frauen, die ich kenne, scheint sie tatsächlich erfolgreich um echten Liebeskummer herumzuschiffen. Wie sie das macht, ist natürlich eine der Fragen. Die Antwort allerdings, das muss ich zugeben – hätte ein Mann das so formuliert, würde ich ihn als Macho beschimpfen. „Es gibt doch genügend interessante Männer auf der Welt, und am besten sind sie ohnehin am Anfang einer Beziehung – also beschränke ich mich genau darauf.“

Als ich nachhake, ob es nie Probleme gegeben hat, räumt sie ein, einmal viele Monate lang ganz schrecklich einem Mann hinterhergetrauert zu haben. Das erzählt sie allerdings erst, nachdem sie das andere Problem geschildert hat, was diese Einstellung ihr einbringt: Die ganzen Männer, die nicht glauben wollen, dass es vorbei ist, und keine Ruhe geben. Und so in dem Stil geht es weiter.

Offen gesagt, mich schaudert ein wenig, nachdem ich das Interview fertiggestellt und noch einmal gelesen habe. Die Probleme im Alltags vermeiden – ist das möglich? Das ist meine Eingangsfrage. Ja, ist meine Antwort; mit dem Zusatz: Um den Preis der Intimität. Zufrieden macht mich das nicht; es wirkt doch sehr kalt und arrogant, was Evelyn da von sich gibt. So habe ich ihr Leben noch nie betrachtet; und ich bin sicher, es ist auch nicht so. Warum, zum Teufel, ist das dann das Ergebnis des Interviews? Wahrscheinlich habe ich einfach nur die falschen Fragen gestellt.

Nein, so kann ich das nicht lassen. Gleich morgen überlege ich mir einen anderen Blickwinkel, an ihre Einstellung heranzugehen. Hoffentlich macht sie noch einmal mit.


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