Weißer Ritter und Heimchen am Herd
Ähem – zurück zum Thema. Also, SirtaM ist völlig irrsinnig vor Freude über die mögliche Publikation, und sie hat versprochen, uns als kleinen Dank für das Portal einen anderen, früheren Roman als Fortsetzungsgeschichte zur Verfügung zu stellen. Sie findet ihn schlechter als den neuen, aber ich kann in der Qualität keine großen Unterschiede sehen. Nur die Rollenverteilung ist eine andere. Im neuen Roman berichtet eine Domina aus ihrem Leben, im alten eine Sub. Nun, kann doch mal vorkommen, dass man die Seiten wechselt, oder?
Eigentlich wollte ich mit der Aufbereitung des Romans beginnen, doch dann setze ich mich erst einmal an den geplanten Jobmarkt. Wenn Jasmund so gut und schnell ist, wie es scheint, muss ich am Montag für ihn schon die nächste Aufgabe bereithalten. Als ich dabei bin, überlege ich mir, warum nicht gleich einen umfassenden Kleinanzeigenmarkt für alles andere außerhalb von SM aufmachen? Wohnungen vermieten, Autos verkaufen, neue Heime für junge Hunde suchen, und so weiter. Ein völlig neues Konzept muss her, und schon ist der Vormittag um, bevor ich die vorläufige erste Fassung an Mondheim senden kann.
Am frühen Nachmittag meldet sich der Partyservice. Zum Glück habe ich längst ein paar Künstler zusammen, die ihre Bilder ausstellen wollen, SirtaM wird lesen, und dann gibt es noch zwei Geheimtipps. Eine echte SM-Band, und dazu eine kleine Tanztruppe. Am liebsten hätte ich noch eine Bondagevorführung dazu gehabt, aber erstens ist Grimme total ausgebucht, und zweitens will ich ja auch nicht alle Bonbons schon bei der ersten Feier austeilen – es wird bestimmt im Laufe der Zeit noch weitere geben. Musik von der Konserve gibt es auch für die, denen der rockige Lärm unserer Liveband nicht gefällt oder nicht reicht, das macht einer aus dem SM-Kreis der Stadt, den ich ganz gut kenne. Die Honorare sind alle abgesprochen und von Mondheim abgesegnet. (Mondheim …) Was mir noch fehlt, sind Angaben über die Zahl der Gäste. Woher soll ich das wissen, wie viele kommen werden? Sicherlich die meisten aus dem Zirkel, der SM-Stammtisch hier, das habe ich schon abgeklärt, aber sonst? Kann sein, wir sind bloß zwischen 50 und 100, kann sein, es kommen mehr. „Kein Problem,“ versichert mir die patente Stimme am Telefon. „Wir bereiten das entsprechend flexibel vor. Das wird etwas teurer, natürlich – ich hoffe, das geht in Ordnung.“ Muss ich jetzt erst Mondheim fragen? Sicherheitshalber ja. „Ich denke schon, aber ich werde mich noch kurz mit Herrn Mondheim absprechen. Ich rufe Sie dann so schnell wie möglich zurück.“
Schnell das Mail an Mondheim, und nun muss ein Plakat her. Oder lieber nur Flyer? Nur Werbung im Internet? Halt, nein – erst einmal mit den Schlagzeilen reden, ob sie den Termin nicht ankündigen können. Den Termin, der noch nicht feststeht. Die haben die größte Verbreitung im Printbereich. Was für ein Glück, dass mein zukünftiges Printmagazin ihnen keinen Konkurrenz machen soll, sonst könnte ich gleich einpacken.
Es klappt alles; eine Woche habe ich Zeit, eine entsprechende Ankündigung einzureichen, dann ist sie in der nächsten Ausgabe drin. Zwei Monate, hat Mondheim gesagt, und die vom Partyservice haben das bestätigt; obwohl es, gegen Aufpreis, auch schneller geht. Juni haben wir jetzt – das wäre also im August. Nein, der August ist schlecht, das ist der Urlaubsmonat. Lieber September. Oder vielleicht am letzten Augustwochenende? Bis dahin sind fast alle wieder da, und es wird ein schöner Abschluss des Sommers. Ja, das letzte Augustwochenende, das ist gut. Samstags. Damit man notfalls von außerhalb anreisen kann und sich nicht freitags von der Arbeit direkt ins Vergnügen stürzen muss, oder sonntags früh wieder weg, für den kommenden Montag.
Samstags – da war doch etwas? Oh ja …
Das ist das dritte Mail an Mondheim, das wegen des Datums.
Eine halbe Stunde später sind zwei Antworten von ihm da. Die erste lautet lapidar: „1. Anzeigenmarkt 2. flexible Bewirtung 3. Partytermin alles okay.“ Das zweite ist privat. „Du bist ja außerordentlich produktiv heute. Geht es dir gut?“ Mindestens 20 Mal lese ich die wenigen Worte und freue mich beim letzten Mal fast noch mehr darüber als beim ersten. Meine Reaktion fällt ebenfalls knapp aus. Und wie er spare ich mir die Anrede. „Mehr als gut, vor allem, wenn ich an dich denke. Wie geht es dir? Sehr müde?“
Ich stelle mir sein Lächeln vor, wenn er es liest.
Meine nächste Aufgabe ist es, Teermann zu etwas zu überreden, wovon er sicherlich nicht unbedingt begeistert sein wird. Ich will in dem Portal eine Beratung haben. Nicht live per Chat, aber per Mail. Wohin sonst soll man sich denn wenden, wenn man Fragen hat zu Techniken und anderem? Die kann doch oft nur ein Mediziner beantworten, und wer traut sich schon, seinen Hausarzt damit zu behelligen.
Wo ich schon einmal dabei bin, muss natürlich auch eine allgemeine Beratung her. Eine Art virtueller Workshop für verschiedene Techniken – Bondage, Peitschen, Nadeln und einiges andere – ist ohnehin bereits am Entstehen, aber der wird gewiss nicht alle Fragen beantworten. Vielleicht mal schauen, ob ich eine Domina finde, die gegen kostenlose Werbung für ihr Studio dazu bereit ist. Oder sonst jemanden, der sich gut auskennt. Am besten kakele ich das mal mit Mondheim durch. Und nicht dass Sie glauben, ich suche Vorwände, Kontakt zu ihm aufzunehmen.
Teermann hat zwar Patienten, aber er ruft dennoch prompt zurück. Wie erwartet sträubt er sich ein wenig. Es ist ihm zuviel Arbeit, zuviel Verantwortung. Ich muss dringend mit Mondheim sprechen, ob man ihm dafür nicht etwas zahlen kann oder ihm sonst einen Vorteil verschaffen. Immerhin habe ich ihn schon fast herumgekriegt, als wir auflegen.
Mondheim hat wieder geschrieben. „Müdigkeit ist ein Zustand, in dem man sich nach Schlaf sehnt. Ich sehne mich nach ganz anderen Dingen.“
Ob der Kerl mich vollständig um meinen Verstand bringen will?
Ein Anruf von Lange rüttelt ein wenig an den Fundamenten meiner Berauschtheit und schafft es dann doch nur, mich in eine vorsichtige Abwehr zu versetzen. „Deinar hat mit Ihnen gesprochen?“ fragt er nach einer fast unhöflich kurzen Begrüßung. „Er hat,“ bestätige ich. „Und bevor Sie die nächste Frage stellen, nein, wir sind nicht weitergekommen. Ich verstehe nicht, was er will – außer dass er sehr verletzt ist, was mir ausgesprochen Leid tut. Nur habe ich keine Ahnung, was ich für ihn tun kann – und ich glaube, ehrlich gesagt, auch nicht, dass er das wollte.“
„Sie täuschen sich,“ entgegnet Lange. Meine Abwehr fährt die ersten Geschütze auf. „Wieso glauben Sie beide so unerschütterlich daran, mir erzählen zu müssen, was ich denken soll? Und warum sind Sie nicht in der Lage, mir mit ganz einfachen Worten klarzumachen, was es denn ist, was ich glauben und tun soll, wenn Sie es denn schon besser wissen?“
Und weshalb bin ich so fest davon überzeugt, man müsse mit allen Menschen wirklich reden können, wenn man es nur genügend will? Es ist doch einfach so, manche Diskussionen führen schlicht zu nichts, und wenn man ihnen noch soviel Raum gibt. Aus welchem Grund bemühe ich mich so hartnäckig, das Problem zu verstehen, das Deinar mit mir hat?
„Können wir uns kurz treffen?“ bittet Lange, schon erheblich versöhnlicher als am Anfang. „Vielleicht gelingt es mir, Ihnen begreiflich zu machen, was mit Deinar los ist.“ „Höchstens, wenn Sie ein ganz ausgesprochen geschickter und geduldiger Pädagoge sind,“ erwidere ich. „Was das Thema betrifft, scheine ich nämlich ganz im Gegensatz zu meiner sonstigen Gewohnheit absolut begriffsstutzig zu sein.“
Fast hat er mich schon überredet und ich will zustimmen, als ich noch einmal innehalte. „Herr Lange, warum versuchen Sie nicht, es mir einfach in einem Mail zu erklären? Erstens stecken wir beide tief in Arbeit – und zweitens sind wohlüberlegte Worte, die man nicht zwei Sätze später wieder wegdiskutieren kann, vielleicht besser geeignet, Klarheit zu schaffen. Ich kann Ihnen auch versprechen, ich werde alles sehr aufmerksam lesen und mir wirklich Gedanken machen über das, was Sie sagen.“
Der Schachzug gefällt mir. Er hat zwei Hintergründe. Ad 1 will ich nicht schon wieder eine Stunde irgendwo sinnlos diskutieren, und ad 2 muss sich Lange mit einem schriftlichen Text wirklich Mühe geben. Hoffentlich wird er dadurch verständlich. In jedem Fall kann er mich dabei nicht für blöde halten, wenn ich das wörtlich nehme, was er sagt. Das scheint mir nämlich eine Taktik der beiden zu sein, die jetzt gerade unterwegs sind, für Deinar zu streiten. Sie hören nicht zu, sie widersprechen sich, und am Schluss wird man noch beschimpft, weil man nichts versteht.
„Ich werde es versuchen,“ verspricht Lange. Na also – geht doch. Inzwischen habe ich das Gefühl, je entschiedener ich mit den Menschen in meiner Umgebung umgehe, desto besser funktioniert alles. Mit einer Ausnahme – aber die erwähnen wir jetzt nicht. Es gibt gewisse Namen, die sind ohnehin ständig präsent, auch ohne dass ich sie dauernd aussprechen muss.
Das Lange-Mail ist viel zu schnell da, als dass es irgendwelche großartigen Erkenntnisse enthalten könnte. Es ist nur dieselbe Leier in Schriftform. „Sie sind sich doch sicherlich bewusst, dass allein Martin Ihnen den Einstieg in diese neue Welt ermöglicht hat. Auch wenn Sie ihm vielleicht keine Dankbarkeit schulden, erfordert es doch schon die pure Fairness, jetzt nicht ihn von seinen Positionen zu verdrängen. Bitte reden Sie mit ihm.“
Es kotzt mich an, und aus dieser Laune heraus schreibe ich die Antwort herunter. „Ich verdränge niemanden von irgendwelchen Positionen. Meinen Job will Deinar ganz bestimmt nicht haben. Auf die Entscheidungen des Zirkels habe ich keinerlei Einfluss. Und dass Mondheim nur für einen von uns beiden Mentor spielen kann, liegt auf der Hand, so verkorkst, wie die Stimmung zwischen Deinar und mir ist. Sie selbst haben die Einführung von Deinar doch gerne übernommen. Warum haben Sie nicht im Zirkel selbst widersprochen, wenn Sie diesen Wechsel für so unfair halten? Und nun tun Sie mir, bitte, einen Gefallen. Ich verstehe noch immer nicht, worum es Ihnen und Deinar geht. Auch Ihr Mail hat da wenig Aufklärung gebracht. Meiner Meinung nach spielen diese ganzen Fakten, auf die Sie sich so sehr stützen, überhaupt keine Rolle. Sonst würden Sie beide es nicht so leicht ignorieren, was ich an sachlichen Einwendungen habe. Es geht um anderes, um Emotionen nämlich. Und über die kann man nun einmal nicht diskutieren. Deshalb sollten wir damit auch aufhören. Ich will nichts mehr von Deinar als eine anständige Zusammenarbeit, soweit wir beruflich Berührung miteinander haben. Sie können sich darüber gerne ebenso moralisch entrüsten, wie Deinar das getan hat – es ändert nichts. Deshalb, bitte, lassen Sie die Angelegenheit ruhen.“
Die Reaktion darauf ist ein weiterer Anruf. Dass ich das alles nicht verstehe, dass ich mir doch Mühe geben soll, und so weiter, hin und her. Nach etwa zehn Minuten beende ich das Gespräch – gegen seinen ausdrücklichen Wunsch. Es reicht mir. Wenn noch irgendwo ein Fünkchen Freundschaft für Deinar übrig war, haben die vielen Worte es nun endgültig ausgeblasen, und ich will nichts mehr hören. Schluss, aus, basta.
Am nächsten Tag schlägt die Erschöpfung erbarmungslos zu. Ich kann mich kaum auf den Beinen halten. Das einzige, was für einen gewissen Energieschub sorgt, ist die plötzlich anberaumte Besprechung um vier Uhr am Nachmittag. Gäbe es die nicht, würde ich um diese Zeit schon längst schlafen. Entweder im Bett, oder auf meinem Schreibtischstuhl.
Eigentlich dürfte die Besprechung allein einen jobmäßigen Hintergrund haben, sonst würde sie nicht hier im Büro stattfinden. Aber eine kleine Intuition sagt mir, es wird um etwas anderes gehen. Was, weiß ich nicht; Mondheims Mail hat sich auf die Tatsache dass, den Ort und die Uhrzeit beschränkt.
Ab halb vier geht bei mir gar nichts mehr. Ich öffne das Fenster, lehne mich hinaus, versuche, meinen wirren Kopf durchzupusten; bloß ist es zu warm dafür.
Um zehn vor klopft es. Merkwürdig, den eigentlichen Inhaber dieses Raums hereinzubitten.
Noch bevor er ein Wort gesagt hat, sind seine Arme um mich herum, und meine Lippen erleben den Elektroschock der seinen. „Wir haben nicht lange Zeit – die anderen werden gleich da sein,“ sagt er schließlich, ein wenig außer Atem. „Du weißt, worum es geht?“ Die Andeutung bestätigt meine Befürchtung. „Ich kann es mir denken.“ „Gut,“ nickt er. „Du musst mir etwas versprechen – du wirst kein Wort erwidern, ganz gleich, was ich sage, oder was einer der anderen sagt, wenn ich dich nicht ausdrücklich dazu auffordere. Meinst du, du schaffst das?“ Ich horche in mich hinein. Es wird nicht leicht werden. Und dies hier ist kein erotisches Spiel, bei dem der Reiz zu gehorchen stärker wäre als mein Drang, meine Klappe aufzureißen. Aber doch, ich denke, ich werde das schaffen, wenn er das so haben will. Er wird seine Gründe dafür haben.
Die beiden anderen sind tatsächlich Lange und Deinar. Lange muss ich zugute halten, er ist wenigstens verlegen. Deinar scheint nur sauer zu sein. Der soll bloß aufpassen, dass ihn seine eigene Säure nicht irgendwann auffrisst.
Man verteilt sich auf die ausreichend vorhandenen Stühle. Ganz selbstverständlich überlasse ich Mondheim den Platz hinter dem Schreibtisch, was mir ein Lächeln von ihm einträgt. Es wird helfen, meine Lippen zu versiegeln.
„Nachdem nun alle Beteiligten versammelt sind,“ beginnt Mondheim, „will ich die Angelegenheit jetzt und hier ein für allemal geklärt haben. Was zu sagen ist, wird heute gesagt, in diesem Kreis – und danach ist ein Ende mit den leidigen Diskussionen und dem ganzen Gerede. Wir haben alle miteinander Besseres zu tun, als uns stundenlang mit Dingen zu beschäftigen, mit denen jeder ohnehin eigentlich nur allein fertig werden kann und muss. Also, Deinar – raus mit der Sprache. Was ist los mit Ihnen? Was wollen Sie? Und verschonen Sie mich mit dem seichten Gejammere, Anne hätte Ihnen etwas weggenommen.“
„Aber genau das ist es doch,“ wendet Lange ein. „Ich hatte Deinar gefragt, nicht Sie,“ wehrt Mondheim ihn ab.
Deinar schweigt.
Mondheim gibt einen Laut wie ein Schnauben von sich. „Ich sehe schon, wenn es darum geht, offen auf den Tisch zu packen, was Sie stört, dann kneifen Sie. Nun gut, dann versuche ich es einmal, Ordnung in Ihre Gedanken zu bringen. Sie interessieren sich für Annes Job? Sie können ihn haben, wenn Sie unbedingt wollen.“
Das erste Mal kommt der Drang auf, etwas zu sagen. Mühelos unterdrücke ich ihn.
„Nein,“ sagt Deinar nun, und es klingt nicht sehr glücklich. „Nein, ich will den Job nicht haben.“
Mondheims Augen sind kalt. „Gut – kommen wir zu Punkt zwei. Sie erinnern sich, ich bin schon seit Monaten hinter Ihnen her, Mitglied des Zirkels zu werden. Wann haben Sie sich endlich dazu entschlossen? Lassen Sie nur – ich erspare Ihnen die Antwort. Genau zu dem Zeitpunkt, als auch Anne ihren Wunsch äußerte, aufgenommen zu werden. Letzte Woche war der Vortermin für Sie, denn natürlich haben Sie die älteren Rechte. Was ist passiert? Sie haben den Termin abgesagt. Wieso also beschweren Sie sich jetzt, dass Annes vor Ihrem liegt? Und weiter – die Mentorenschaft. Dazu will ich Ihnen einmal ein paar deutliche Worte sagen. Sie führen sich seit einigen Wochen auf wie ein abgewiesener, gekränkter Liebhaber. Als hätte Anne Sie in die Wüste geschickt. Dabei haben Sie selbst mir erzählt, Sie waren derjenige, der nicht wollte. Dem es zuviel war, eine Beziehung einzugehen. Abgesehen davon, wie lächerlich Sie sich damit machen – für jemanden, der sich so verhält, halte ich meinen Kopf nicht hin.“ Er holt tief Luft. „War da noch etwas? Ach ja, das hätte ich doch beinahe vergessen: Die Moral. Die Sitte, der Anstand. Sie haben voll und ganz recht, es ist zutiefst unmoralisch, was ich mit Anne mache. Ich habe sie regelrecht überfallen, sie in meine Dienste gelockt, sie beobachtet, und das alles nur mit dem Ziel, sie als meine devote Partnerin in den Zirkel zu begleiten und hoffentlich lange ihr Begleiter zu bleiben. Da muss ich Ihnen zustimmen, Deinar, das war eine Schofeligkeit ohnegleichen. Ich bin gerne bereit, Anne dafür Genugtuung zu geben. Aber allein Anne, und nicht Ihnen. Wenn Sie nicht festhalten, was Sie haben wollen, müssen Sie sich nicht wundern, wenn es Ihnen jemand wegnimmt. Davon abgesehen, Anne gehört niemandem, nicht einmal mir, und wenn sie sich nicht weiter mit diesen ganzen unsinnigen Redereien abgeben will, die Sie für so unumgänglich halten, dann werden Sie das akzeptieren und nicht während Ihrer und Annes Arbeitszeit weiter Stunk machen. Ich hoffe, ich habe mich klar ausgedrückt.“
Deinar ist blass geworden. Kein Wunder, bei soviel kalter Wut von Mondheim. Und er ist noch immer nicht fertig. „Damit wir uns nicht missverstehen, Deinar. Ihr Privatleben geht mich gar nichts an. Aber wenn Sie private Dinge am Arbeitsplatz austragen, dann geht mich als Ihr Arbeitgeber das sehr wohl etwas an. Wobei es hier ja ohnehin um private Dinge geht, die uns alle betreffen. Nun, dann also den Stier bei den Hörnern gepackt und Ende des offiziellen Teils. Was haben Sie mir ganz privat zu sagen? Und keine Angst, die Position als Chef habe ich mit diesen Worten abgegeben, Sie können völlig frei reden.“
Wieder meldet sich Lange zu Wort. „Mondheim, das ist unfair. Erst zeigen Sie Deinar, wer hier das Sagen hat, und dann soll er auf einmal ohne Angst reden?“
Das zweite Mal stehe ich in der Versuchung, etwas zu sagen. Diesmal kostet es schon mehr Mühe, sie zu bekämpfen.
„Fair,“ bemerkt Mondheim gedehnt. „Ist das fair, wenn Sie beide gemeinsam über Anne herfallen wegen irgendwelcher Vorfälle, die sie nicht herbeigeführt hat, sondern von denen sie ebenso überrascht wurde wie anscheinend Sie beide? Sie Lange, dürften als langjähriges Mitglied eigentlich gar nicht so erstaunt sein über die Entwicklung; Sie kennen doch die Regeln.“
„Es ist ja auch für Anne, dass ich eingegriffen habe,“ verteidigt sich Lange. Mondheim lässt den Blick von ihm zu mir wandern. „Für Anne? Das ist erstaunlich. Anne, fühlst du dich in einer Situation, in der du einen Verteidiger brauchst?“
„Nein,“ erwidere ich. Gerne würde ich mehr sagen, aber ich denke, je kürzer die Antwort, desto besser.
„Dann haben wir auch das festgehalten,“ erklärt Mondheim. „Für Anne müssen Sie nicht eintreten. Und nachdem Deinar selbst ersichtlich nicht in der Lage ist, seine eigene Position zu erläutern – vielleicht könnten Sie das freundlicherweise übernehmen?“
So wie er das wahrscheinlich geplant hat, bringt der Seitenhieb endlich Deinar zum Sprechen. „Es ist doch völlig sinnlos, sich mit Ihnen zu unterhalten – Sie verdrehen ja alles!“
Ist doch immer wieder schön zu sehen, wie die Leute anderen die Vorwürfe machen, die ihnen selbst gehören. Das dritte Mal möchte ich mich äußern, und wieder gelingt es mir zu schweigen.
„Inhaltlich haben Sie also nichts beizutragen?“ bohrt Mondheim. „Ich glaube nicht, dass ich weiter über die ganze Sache reden möchte,“ erwidert Deinar.
In Mondheims Augen blitzt etwas auf. „Hervorragend – dann sind wir uns ja alle einig, die Sache ist erledigt. Nicht bereinigt, nur erledigt – aber manches im Leben muss man einfach so stehen lassen.“
Er greift sich einen meiner Stifte, dreht ihn zwischen den Fingern. „Dann sind wir also fertig?“
Deinar steht auf. Mondheim steht auf, Lange steht auf. Ich bleibe sitzen. Von mir verabschiedet sich niemand, aber bei den drei anderen kriege ich live das Kunststück zu sehen, wie sie eben das, das Verabschieden, ganz verbindlich und so, als sei nichts gewesen, auf die Reihe kriegen; selbst Deinar schafft das, wenn man ihm seine Verärgerung auch noch ansieht.
Die Tür klappt. Ich bin wie erschlagen. Mondheim nimmt sich den Stuhl neben mir, auf dem Lange gesessen hat. Er sieht erschöpft aus. „Es tut mir Leid Anne, du musst dir vorkommen wie ein Stück Vieh auf dem Wochenmarkt, um das sich die Käufer streiten.“
Ich nehme seine Hand. Unsere Finger verschränken sich ineinander. „Ein bisschen schon. Aber anders wäre es wohl nicht gegangen.“ Mondheim zuckt die Achseln. „Vielleicht doch – ich weiß es nicht. Das ist eben meine Methode, für Ruhe zu sorgen.“ Sicherlich eine erfolgreiche. Wäre ich nicht Zuschauer gewesen, ich glaube, der Schock würde lange nachwirken. „Woher wusstest du eigentlich, dass Lange mich heute wieder genervt hat?“ frage ich endlich; das hat mich die ganze Zeit schon gewundert. „Ich dachte mir das schon, also habe ich ihn angerufen und gefragt; da blieb ihm nichts anderes übrig, als es zuzugeben.“
„Du solltest sehen, dass du dich ausruhst,“ bemerke ich nun besorgt. „Du hattest heute mehr als genug Ärger meinetwegen.“
„Deine Grammatik lässt zu wünschen übrig, meine liebe Anne,“ sagt er. „Es ging zwar um dich, aber es war ja wohl nicht wegen dir.“ „Doch – irgendwie schon,“ widerspreche ich.
Er zieht die Augenbrauen hoch. „Ich fürchte, ich fürchte, deine Widerspenstigkeit wird dir einen ganz unangenehmen Abend eintragen.“ Ein Abend? Mit ihm? Mein Puls beschleunigt sich, während gleichzeitig mein Herzschlag kurz aussetzt. Medizinisch unmöglich? Von wegen!
„Kannst du kochen?“ fragt er überraschend. „Nicht besonders gut,“ räume ich ein. „Erfreulich – dann ist die erste Strafe ja, dass du heute Abend etwas für mich kochen darfst. Ich bin so gegen acht da.“ Er steht auf.
Es wird ein kurzer Abschied, und das ist mir auch ganz recht so – ich muss überlegen, und die Zeit ist knapp.
Oh Gott. Oh Gott! Was, um Himmelswillen, soll ich bloß kochen? Etwas Einfaches, damit es sicher gelingt. Nur, zu einfach wäre auch nichts.
Meine Güte, wer hätte gedacht, dass es so herrlich aufregend sein kann, einen Abend lang das Heimchen am Herd zu spielen!
***